Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Christian Wulff:

Dem ARD-»Deutschlandtrend« zufolge sind 84
Prozent der Deutschen dagegen, dass dem ehemaligen Bundespräsidenten
Christian Wulff bis zu seinem Lebensende 199 000 Euro jährlich
gezahlt werden sollen. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hingegen
kommt zum genau entgegengesetzten Ergebnis: Eine Aberkennung des
Ruhegelds sei nicht einmal dann möglich, wenn das
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hannover zu einer
Verurteilung Wulffs führen sollte. Nun wünschen wir uns an vielen
Tagen im Jahr händeringend Politiker, die nicht nur auf Volkes oft
schwankende Stimme hören, bevor sie etwas entscheiden – aber diese
Diskrepanz ist erklärungsbedürftig. Dabei mag es sein, dass die
Debatte um Wulffs »Sofortrente« in Teilen der Bevölkerung von
Sozialneid getrieben ist. Frei nach dem Motto: Warum soll der denn so
viel mehr Geld bekommen als ich? Doch ginge es zu weit, einem ganzen
Volk Missgunst zu unterstellen. Sicher spielt auch das Motiv der
politischen Abrechnung mit dem »falschen Präsidenten« eine Rolle. Es
gibt schadenfrohe Leute, die finden: Strafe muss sein. Aber auch das
finden nicht alle. Es dürfte eine ganz erhebliche Zahl von Menschen
übrig bleiben, die die Zahlung eines »Ehrensolds« schlicht mit Ehre
und Anstand in Verbindung bringen. Nun hat sich Christian Wulff die
Bezeichnung der Altersversorgung eines aus dem Amt geschiedenen
Bundespräsidenten nicht ausgesucht. Und vielleicht war eine
Bezeichnung, bei der rein sprachlich »Soldat« und »Söldner«
mitschwingen, für dieses zivile Spitzenamt schon von jeher
unglücklich. Aber war nicht auch gemeint, dass es der Gemeinschaft
eine Ehre sein sollte, ihrem ehrwürdigen Altpräsidenten einen
würdigen Lebensabend zu finanzieren? Das ist im Fall Wulff viel
verlangt. Es ist sicher heikel, auf dem Begriff »Ehre« derart
herumzureiten, da unter ihrem Deckmantel – Stichwort Familienehre –
schon viel Unheil angerichtet worden ist. Aber ist es wirklich
moralinsauer, von Christian Wulff zu erwarten, dass er seine
Forderung aus dem Jahr 2010 nach Abstrichen beim Ehrensold des
Bundespräsidenten auch auf sich selbst anwendet? Es stößt eben
unangenehm auf, dass er in seiner Rücktrittsbegründung am 17. Februar
persönliche Fehler umschiffte und stattdessen nur bedauerte, dass
»meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind«. Diese
Formulierung kann jetzt als »politischer Grund« herhalten, so dass
die gesetzliche Bedingung für das Ruhegeld formal erfüllt ist. Nein,
»ehrlich« wirkt der Umgang mit der Frage nach dem Ehrensold nicht –
eher eilig. Und das verärgert auch jene Bundesbürger, die es
ansonsten befürworten, dass unsere Spitzenpolitiker ihrer
Verantwortung angemessen bezahlt werden.

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Andreas Kolesch
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