Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Tod von Anja Niedringhaus

Anja Niedringhaus war Trägerin der
Pulitzerpreises in der Kategorie »Breaking news photography«. Es gibt
keine höhere Auszeichnung für Pressefotografen.

Bei Afghanistans Steinzeitislamisten gilt das gar nichts. Ein
Terrorist in Uniform hat die Deutsche am Freitag erschossen, eine
Kollegin wurde schwer verletzt.

Frauen vor der Kamera sind den Feinden der Gleichberechtigung ein
Dorn im Auge, Frauen die hinter einer Kamera auch mal Regie führen,
bringen sie in Rage, und Frauen, die in Todesgefahr ihren Mann
stehen, sind ihnen schier unerträglich.

All das wusste Niedringhaus – und sie konnte damit umgehen. Wie
Hunderte andere Berichterstatter in Krisengebieten hatte sie eine
Spezialschulung zum Verhalten in Extremlagen, gegenüber
Kindersoldaten und bei Entführung. Seit ihren ersten Einsätzen auf
der Snipers Alley von Sarajevo sammelte sie Berufserfahrung wie nur
wenige andere. Bis Freitag hatte das Gespür für Gefahr Anja
Niedringhaus nie verlassen.

Seit dem Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes in Afghanistan gab
es zwei Dutzend Angriffe auf Reporter. Alle Täter verfolgten das eine
Ziel: Angst schüren – nicht nur bei Wählern, auch bei
Wahlbeobachtern.

Die Taliban haben dem Urnengang den Krieg erklärt. Der Süden und
der Osten des Landes stehen de facto wieder unter der Kontrolle jener
Feinde der Freiheit, denen der Großeinsatz der westlichen Welt seit
dem 11. September 2001 gilt.

Seitdem sind 100000 afghanische Militärs und Zivilisten gewaltsam
ums Leben gekommen. Knapp 5000 ausländische Soldaten, darunter 54
Deutsche, starben. Trotz des großen Blutzolls trifft uns in
Ostwestfalen der Tod der Journalistin aus Höxter ganz direkt. Zur
Betroffenheit kommt ein Erschrecken darüber, wie wenig am Hindukusch
erreicht wurde.

Immerhin: Pressefreiheit ist in der neuen afghanischen Verfassung
verbrieft. Die Organisation Reporter ohne Grenzen würdigt diesen
Punkt als wichtigen Zwischenschritt. Afghanistan hat heute 190
Zeitungen, 48 TV- und 175 Radiosender. Die stehen extrem unter Druck.
Neben offener Gewalt gibt es Erpressung und Korruption. Weibliche
Journalisten werden nicht selten vom eigenen Clan zum Schweigen
gebracht. Nur selten gehen die Behörden den Übergriffen konsequent
nach.

Anja Niedringhaus hat nicht wegen des Adrenalins aus vielen
Krisengebieten berichtet. »Da könnte ich den ganzen Tag
Bunjee-Jumping machen«, hat sie einmal bemerkt. Sie hat die ganz
normalen Menschen hinter den Fronten gesehen, fotografiert und uns in
ergreifenden Bildern davon berichtet. Sie hat für die Freiheit
gearbeitet und einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Aber sie hat
genau so an das Menschliche geglaubt, wie daran, dass Afghanistan
eine Zukunft haben muss.

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261