Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Wahlkampf in Hamburg

Morgen soll die Kanzlerin retten, was nicht mehr
zu retten ist. Angela Merkel müsste zaubern können, wollte sie an den
desaströsen Umfragewerten der CDU in Hamburg von 23 Prozent noch
etwas ändern. Eigentlich bräuchte sie gar nicht mehr zur großen
Wahlkampf-Abschlussveranstaltung an die Elbe zu reisen. Sie weiß am
besten, dass ihrer Partei am Sonntag ein Desaster bevorsteht. Das mit
Spannung erwartete Superwahljahr mit sieben Landtagswahlen fängt
ausgerechnet mit einem vermeintlichen Langweiler an. In Hamburg
lautet die simple Frage: Holt Olaf Scholz die absolute Mehrheit, oder
braucht er die Grünen als Partner? Wer den SPD-Spitzenkandidaten
beobachtet, wird feststellen, dass vom einstigen angriffslustigen
Generalsekretär und kampfeswilligen Arbeitsminister der damaligen
rot-grünen Bundesregierung nicht viel übrig geblieben ist. Scholz ist
zurückhaltender, ruhiger geworden. Er wirkt seriös, leise, fast schon
bieder. So hat er Hamburg bereits vor der Wahl im Sturm erobert.
Hinzu kommen Themen, mit denen er der CDU den Rang abgelaufen hat.
Sie reichen von einer durchaus ambitionierten Finanz- und
Wirtschaftspolitik bis hin zur Rettung des Schauspielhauses, der
stärkeren Unterstützung des Hafens oder des Baus von 6000 dringend
benötigten Wohnungen pro Jahr in der Hansestadt. Vom Kurswechsel in
der Schulpolitik nach dem für schwarz-grün so verheerenden
Volksentscheid ganz zu schweigen. Kurzum: Scholz hat es geschafft,
über die SPD-Klientel hinaus viele Bevölkerungsgruppen anzusprechen –
mit einer Politik, die man eigentlich von der CDU erwartet hatte.
Bundespolitische Unterstützung hat er nicht nötig. Während man Merkel
und Westerwelle fast an jeder Straßenecke trifft, sind Wahlplakate
von Sigmar Gabriel Mangelware. Scholz braucht und will die
schwächelnde Bundes-SPD nicht. Er ist immer noch Schröderianer. Es
ist kein Zufall, dass der Altkanzler seinen Ex-Generalsekretär
unterstützt. Sowohl Scholz als auch Schröder werden sich diebisch
darüber freuen, einen Wahlsieg einzufahren, von dem Sigmar Gabriel
nur träumen kann. Die Stärke der SPD ist auch die Schwäche der CDU.
Ole von Beust hat sich und seiner Partei keinen Gefallen getan, die
Brocken hinzuschmeißen. Sein ohnehin unbeliebter Nachfolger Christoph
Ahlhaus muss sich für Dinge rechtfertigen, die er selbst nicht zu
verantworten hat. Und die Grünen haben die personelle Schwäche der
CDU mit dem Bruch der Koalition eiskalt ausgenutzt. Zu einem der
wenigen Wahlkampfauftritte ist Sigmar Gabriel ebenso wie Angela
Merkel morgen in Hamburg. Der SPD-Parteichef wird die positive
Stimmung an der Elbe vermutlich wie Honig aufsaugen und von einem
Signal für ganz Deutschland sprechen. Merkel und Gabriel auf
ungleicher Wahlkampftour. Während Hamburgs CDU auch von der Kanzlerin
nicht mehr zu retten ist, profitiert Gabriel – auch wenn er zum
Höhenflug der SPD in der Hansestadt selbst so gut wie nichts
beigetragen hat.

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