Man kann am deutschen Schulsystem ja viel
kritisieren. Aber es ermöglicht jedem Kind einen kostenlosen Zugang
zu Bildung – egal ob die Eltern in Deutschland geboren wurden oder
aus einem anderen Land eingewandert sind. Diese Chance ist als
Schulpflicht gesetzlich verankert. Das Gesetz ist keine Schikane, es
ist ein Privileg und wurde über Jahrhunderte hinweg erkämpft.
Historisch kann man es sogar als Errungenschaft der Reformation
betrachten. Grundlage ist die Erkenntnis, dass Kinder ein Recht auf
einen geschützten Raum haben, in denen ihnen Wissen vermittelt wird.
Österreich, Frankreich und Großbritannien kennen keine allgemeine
Schulpflicht, sondern nur eine allgemeine Unterrichtspflicht. In
anderen Ländern ohne Schulpflicht werden Kinder in Fabriken
ausgebeutet, statt Schreiben und Rechnen lernen zu dürfen.
Diese Hintergründe muss man sich vor Augen halten, wenn es um die
zunehmenden Fälle geht, in denen Anhänger fundamentalistischer Sekten
ihren Kindern verweigern, die Schule oder Schulstunden in bestimmten
Fächern zu besuchen. Es geht in solchen Fällen keinesfalls um das
Kindeswohl. Die Kinder werden stattdessen von den Eltern
instrumentalisiert. Es geht auch nicht um Fragen der
Religionsfreiheit, denn die Schwester der Religionsfreiheit ist die
Toleranz.
Tatsächlich handelt es sich hier um einen Machtkampf: Auf der
einen Seite stehen Eltern, die die absolute Kontrolle über die Köpfe
ihrer Kinder beanspruchen. Und die von den Vorzügen eines Systems
profitieren wollen, dessen Regeln sie nicht bereit sind anzuerkennen.
Auf der anderen Seite steht der Staat, der im Sinne des
Kindeswohls tatsächlich gezwungen ist, einzugreifen. Und das ist auch
gut so.
Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion
Telefon: 02331/9174160