WN: Leitartikel zum Pofalla-Bosbach-Fall

Roland Pofalla hat sich mächtig im Ton vergriffen.
Die wüsten Verbal-Attacken gegen seinen „Parteifreund“ Wolfgang
Bosbach waren unanständig und schlicht unerträglich. Gestern warf
sich Merkels Kanzleramtsminister öffentlich das Büßergewand über. Das
war das Mindeste, was man von ihm erwarten durfte. Seine Chefin wird
es ihm wohl dringend ans Herz gelegt haben. Es ehrt den
Euro-Skeptiker Bosbach, dass er die Reue-Bekundungen umgehend
akzeptierte. Der CDU-Innenexperte ist erfahren und klug genug, um
seine eigenen Befindlichkeiten jetzt nicht noch in den Vordergrund zu
rücken. Die Regierungspartei CDU steckt in höchsten Nöten, die
Atmosphäre ist angespannt. Dennoch: Für seine Zweifel am
Euro-Rettungsschirm muss er sich gewiss nicht persönlich
rechtfertigen. Mit seinem Gesicht jedenfalls kann sich Bosbach auch
weiterhin in der Fraktion sehen lassen. Insofern steht er schon jetzt
als Gewinner fest. Pofalla dagegen steckt tief in der Pöbel-Falle. Er
hat sich unmöglich gemacht. Brisanter noch ist: Der studierte
Sozialpädagoge hat mit seinem Wutausbruch – eher ungewollt – Angela
Merkel gleich mit in die Bredouille gebracht. Die Kanzlerin und die
Spitzen der Fraktion bemühen sich gerade in Regionalkonferenzen
darum, das Stimmungsbild in der Partei wieder aufzuhellen. Dort
herrschen offensichtlich noch immer große Irritation und Furcht vor
der Euro-Politik der schwarz-gelben Koalition. Die Unsicherheit an
der Basis ist gewaltig – auch was die Schulpolitik oder den
Atomausstieg angeht. Der CDU-Wirtschaftsrat sieht die Stimmungslage
als „in hohem Maße alarmierend“ an. Bosbach hat zumindest den
Euro-Kritikern ein Gesicht verliehen. Mit seiner barschen Entgleisung
hat Pofalla dagegen den Verdacht verstärkt, dass Druck von oben
ausgeübt und Widerspruch nicht geduldet werde. Pofalla hat Angela
Merkel einen Bärendienst erwiesen. So viel ist klar. Für Bosbach ist
der Fall erledigt. Angela Merkel sähe das am liebsten auch so. Es
gibt aber berechtigte Zweifel, dass mit Pofallas Entschuldigung nun
wieder Ruhe einkehrt.Michael Giese

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