Die Zeit der Bescheidenheit scheint vorbei. In
den vergangenen Jahren haben sich die Gewerkschaften bei den
Tarifverhandlungen einigermaßen zurückgehalten. Arbeitsplätze gehen
vor Lohnzuwächsen, lautete im Zweifel die Devise. Nun, im
mittlerweile achten Jahr der Hochkonjunktur, wollen die
Arbeitnehmervertreter ihren Mitgliedern offenbar ein richtig dickes
Stück vom Kuchen auf dem Teller bieten. Und weil Geld alleine nicht
glücklich macht, prescht die IG Metall mit einem Projekt vor, gegen
das die Arbeitgeber Sturm laufen: einem Anrecht auf
Arbeitszeitverkürzung mit Rückkehrrecht zur Vollzeit und teilweisem
Lohnausgleich. Die Tarifverhandlungen sind damit aber mit einem Thema
belastet, das dort nicht ideal aufgehoben ist. Wie zäh die
Verhandlungen auch immer laufen werden: Ja, es wird wohl deutlich
mehr Geld geben. Und es könnte auch einen Kompromiss bei der
Arbeitszeit geben, der vermutlich ein freieres Atmen in beide
Richtungen erlaubt. Sowohl Möglichkeiten zur Ausdehnung als auch zur
Verkürzung der Wochenarbeitszeit – je nach Bedarf – könnten am Ende
vereinbart werden. Der Wirtschaftsboom spielt den Gewerkschaften in
die Hände: Die Unternehmen suchen bisweilen schon verzweifelt
Fachkräfte – wenngleich keinesfalls in allen Branchen und Regionen.
Aber insgesamt haben sich die Kräfteverhältnisse spürbar in Richtung
der Arbeitnehmer verschoben. In dieser Position kann man leichter
fordern. Den Unternehmen schadet angesichts voller Auslastung jeder
Tag einer möglichen Produktionsunterbrechung enorm. Das fördert die
Bereitschaft zum Kompromiss. Daher dürften die Tarifabschlüsse der
großen Branchen in diesem Jahr beim Geld eine Drei vor dem Komma
aufweisen. Vereinzelt könnte es eine Vier werden. Beliebig ist diese
Schraube aber nicht zu drehen. Denn der globale Wettbewerb lässt,
auch wenn die ständigen Exportrekorde anderes vermuten lassen,
Preiserhöhungen nur begrenzt zu. Die wären aber zum Ausgleich der
Kostensteigerung nötig, weil die Produktivität in den vergangenen
Jahren nur schwach zugelegt hat. Die Lohnstückkosten hingegen
klettern – wie in anderen Ländern auch – deutlich. Die Ursache dafür
liegt aber nicht nur in höheren Entlohnungen der Mitarbeiter. Auch
die Unternehmen selbst tragen daran ihren Anteil. Denn sie
investieren relativ wenig. Investitionen in modernere Fertigungen
würden die Kapazitäten erweitern und die Effizienz steigern. Das
bleibt aber aus. Stattdessen kaufen große Aktiengesellschaften lieber
ihre eigenen Aktien vom Kapitalmarkt zurück, zum Teil auf Pump. Das
senkt die Gewinne, auf die Steuern fällig würden, und entzieht der
Allgemeinheit die Möglichkeit, sich an diesen Gewinnen zu beteiligen.
Am Ende ist es eine Umverteilung der Gewinne; sie konzentrieren sich
noch mehr in den Händen von weniger Anteilseignern. Bei der
Arbeitszeit ist die Komplexität zu groß, um in Slogans zu passen. Es
gibt zweifelsfrei eine große Lücke. Auf der einen Seite stehen
Arbeitnehmer, die auf der letzten Rille arbeiten, ständig am Rande
der Überlastung oder auch darüber. Auf der anderen Seite jene, die
mehr tun möchten, aber nicht können. Man darf sich fragen, ob dieses
Thema, wenn es mit sozialer Flankierung verknüpft wird, bei
Tarifvertragsparteien richtig angesiedelt ist. Denn dort können sich
Betriebe dem entziehen, indem sie aus der Tarifbindung aussteigen.
Ein Rechtsanspruch auf eine befristete Verkürzung der Arbeitszeit für
Arbeitnehmer mit Lohnausgleich liegt viel sinnvoller in der Hand des
Gesetzgebers, sofern er das für sinnvoll hält. Es ist also ein klarer
Job für die Bundesregierung, sich darum zu kümmern. Das sollte sie
bald tun – in welcher Konstellation und wann auch immer sie zustande
kommt.
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