Mittelbayerische Zeitung: Das Kreuz mit der Bahn / Die Probleme des staatseigenen Eisenbahnkonzerns sind keinesfalls neu. Was fehlt, ist der wirkliche politische Wille sie zu beseitigen. Von Reinhard Zweigler

Man wird doch mal neidisch sein dürfen: In
Japan, China oder Taiwan kommen 99 Prozent aller Züge pünktlich an.
Wobei dort bereits Verspätungen ab einer Minute gezählt werden, nicht
erst ab sechs Minuten wie hierzulande. Beim japanischen Schnellzug
„Shinkansen“ beträgt die Toleranz bei den Abfahrtszeiten – fünf
Sekunden. An den Endstationen stehen Putzkolonnen bereit, die die
Wagen binnen sieben Minuten reinigen. Im europäischen Bahn-Musterland
Schweiz gibt es einen abgestimmten Taktfahrplan, der vorsieht, dass
in den Bahnhöfen die Züge zu jeder Stunde gleich verkehren. Die
Wirklichkeit im Schienenverkehr der Deutschen Bahn sieht dagegen –
trotz Milliardeninvestitionen in den vergangenen Jahren, etwa in die
Prestigestrecke Berlin-München – immer noch grau, unpünktlich,
unsauber, abgehängt aus. Rund ein Fünftel des deutschen
Schienennetzes wurde in den vergangenen Jahrzehnten stillgelegt. Die
Schienenfahrzeuge sind teilweise überaltert, Wartung und
Instandsetzung kommen nicht hinterher. Bei den neuesten ICE 4 gingen
die Türen nicht auf. Und es fehlt an Lokführern, Zugbegleitern,
Instandhaltern. Dieser traurige Zustand ist der Bahn und dem
Eigentümer Bund natürlich seit Jahren bekannt. Doch offenbar fehlte
bislang der wirkliche politische Wille, die Deutsche Bahn zu einem
Verkehrsmittel der Zukunft auszubauen, das sicher und pünktlich
unterwegs ist sowie mit einem fahrgastfreundlichen Service glänzt.
Nicht nur mit den alljährlichen Fahrpreiserhöhungen. Ob die
Bahn-Krisengipfel, die Verkehrsminister Andreas Scheuer in dieser
Woche bereits zweifach abhielt, – Ende Januar ist ein dritter in
diesem Monat geplant -, die Bahn tatsächlich auf das richtige Gleis
in die Zukunft bringen werden, ist noch nicht ausgemacht. Zweifel
sind angesagt. Denn auch seine Vorgänger geizten nicht mit markigen
Ankündigungen. Vom Investitions-Hochlauf schwadronierte etwa Scheuers
Vorgänger Alexander Dobrindt. Mit mehr Geld sollte schneller
ausgebaut, elektrifiziert und digitalisiert werden. Die Wirklichkeit
jedoch ist vertrackter, langwieriger als es die schönen Slogans
verheißen. Weil die Bahn derzeit vor allem auf den Ausbau der großen
Nord-Süd-Trassen setzt, geraten ebenfalls notwendige Vorhaben, etwa
die Elektrifizierung der Strecke Hof-Regensburg, unter die Räder,
bremsen fehlende Planungs- und Baukapazitäten aus. Die heutigen
Probleme der Bahn haben außerdem auch mit der Rosskur zu tun, der die
Bahn wegen des einst geplanten Börsenganges vom damaligen Bahnchef
Hartmut Mehdorn – im Auftrag und mit Wissen des Bundes – unterzogen
worden war. Teile des Staatskonzerns sollten für Investoren schick
gemacht werden. Notwendige Investitionen in Fahrzeuge, Schienen,
Personal und Service blieben auf der Strecke. Der
Privatisierungs-Spuk ist zum Glück vorbei, doch an den Spätfolgen
leidet die Bahn noch heute. Leider sind die Weichen nicht so rasch
umzustellen. Neue Lokführer, gut ausgebildetes Werkstattpersonal und
Servicekräfte, die die Bahn nun dringend braucht, stehen nicht an der
Bahnsteigkante herum. Sie müssen erst einmal gefunden, eventuell noch
ausgebildet, weiter qualifiziert und vor allem gut bezahlt werden.
Die vor kurzem abgeschlossenen Tarifverträge der Bahn mit
Eisenbahner- und Lokführer-Gewerkschaft machen Hoffnung, dass das
Personalproblem angegangen wird. Gleichwohl drückt immer noch ein
gewaltiger Schuldenberg auf die Bahn. Und der umweltfreundliche
Gütertransport auf der Schiene gerät gegen die Lkw-Konkurrenz auf der
Straße weiter ins Hintertreffen. Es ist ein Kreuz mit der Bahn.
Scheuer, Lutz und Co. müssen endlich liefern, nicht nur ankündigen.

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