HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandpresse, Hamburger Abendblatt, Kommentar, Hartz-IV-Sätze

Verlangt hatte das Bundesverfassungsgericht, die
Hartz-IV-Sätze transparent und nachvollziehbar zu berechnen und nicht
etwa Pauschalen für Kinder willkürlich festzulegen. Von der Politik
forderte es weder eine bestimmte Höhe noch Gerechtigkeit. Reagiert
haben die Volksvertreter in der Regierung mit statistischen
Taschenspielertricks. Etwa damit, dass sie nur noch das Einkommen der
unteren 15 Prozent der Bevölkerung statt wie bisher der unteren 20
Prozent zugrunde legten. Das dämpft die Kosten. Herausgekommen sind
die berühmten fünf Euro Regelsatzerhöhung und ein recht
bürokratisch-artifiziell anmutendes Bildungs- und Teilhabepaket für
Kinder. Damit öffneten sie ihren Kollegen in der Opposition die
Flanke, um Einspruch erheben zu können. Und die schwingen nun die
Gerechtigkeitskeule. Da sie das nicht verantworten müssen, können sie
mehr Geld, bessere Leistungen für Kinder, mehr Betreuung, weniger
Bürokratie, Mindestlöhne und was sie sonst für edel und gut halten,
fordern. Was aber ist wirklich gerecht, wenn eine Familie erst am
Existenzminimum lebt? Nichts, und statistisch berechnen lässt sich
Gerechtigkeit schon gar nicht. Der einschlägig bekannte Thilo
Sarrazin hatte einst vorgerechnet, dass Hartz-IV-Empfänger noch mit
deutlich weniger Geld als den alten Sätzen auskommen könnten.
Sozialverbände halten dagegen alles unter 400 Euro für eine glatte
Zumutung. Betroffene würden sich vermutlich auch mit 500 Euro nicht
wohlfühlen, und der steuer- und beitragszahlende Teil der Bevölkerung
wird nicht begeistert sein, wenn er immer mehr Geld in die große
Umverteilungsmaschinerie einzahlen soll. Beide Seiten haben also das
Thema verfehlt – und tragen ihren Streit nun auf dem Rücken der
Betroffenen aus. Die erhalten deshalb vorläufig nicht mal die fünf
Euro mehr, ihre Kinder müssen auf das Bildungs- und Teilhabepaket
warten und die für die Abwicklung zuständigen Kommunen und
Arbeitsagenturen werden ins Organisationschaos gestürzt. Immerhin
dämmert den Beteiligten die Erkenntnis, dass so etwas in der
Vorweihnachtszeit besonders schlecht ankommt, und nun treiben sie
sich gegenseitig zur Eile im Schlichtungsverfahren an. Was dabei
herauskommen wird, ist vermutlich wie die meisten sozialgesetzlichen
Regelungen weder transparent noch nachvollziehbar – und gerecht kann
es per se nicht sein. Dabei war das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts eigentlich nicht so schwer zu verstehen

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