Nun tritt also auch Silvana Koch-Mehrin zurück. Zu
den Plagiat-Vorwürfen nach wie vor kein Wort – aber Konsequenzen
zieht die Vorzeige-Liberale bevor es noch peinlicher werden kann.
Aber es gehören ja immer zwei dazu. Derjenige, der täuscht. Und
derjenige, der sich täuschen lässt. Häufig auch: diejenigen, die sich
täuschen lassen. Im Fall Guttenberg – das legt der Bericht der
Universität Bayreuth sehr nahe – hat der Freiherr sehr viele Menschen
vorsätzlich getäuscht. Freunde, Verwandte, Wähler, Parteifreunde,
Unterstützer, die eigene Familie, der er zu guter Letzt auch noch
vorwirft, mit ihren hohen Ansprüchen mitschuldig zu sein an seinem
Betrug. Wie schäbig. Andererseits haben sich die meisten dieser
Menschen ihrerseits, wenn nicht vorsätzlich, dann zumindest recht
fahrlässig täuschen lassen. Es wäre also endlich eine gute Seite
dieses Skandals, wenn sie alle, wenn wir alle etwas lernen würden aus
Aufstieg und Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg. Das gilt zunächst
für die Professoren der Universität Bayreuth, die sich bei der
Bewertung der Doktorarbeit Guttenbergs offensichtlich nicht von
wissenschaftlichen Kriterien leiten ließen, sondern von persönlichen.
Vom Namen des Doktoranden, vom Charme des Freiherrn, von der
Sympathie, die man ihm nur allzu gerne entgegenbrachte. Nicht der
Kopf urteilte, sondern der Bauch. Das ist menschlich, macht aber
anfällig für Fehler. Ein zweiter, sehr kühler Blick; ein zweites,
vielleicht anonymisiertes Bewertungsverfahren wäre womöglich ein Weg,
die Reputation des Wissenschaftsbetriebs wiederherzustellen. Nötig
wäre es. Zumal nicht nur der Fall der Freidemokratin Koch-Mehrin den
Verdacht nahelegt, dass leichtfertiger Umgang mit der Vergabe von
akademischen Titeln sich nicht auf den Fall Guttenberg beschränkt.
Auch die Politik hat sich täuschen lassen. CSU und CDU samt Kabinett
und Kanzlerin, die dem Dr. zu Guttenberg eine Karriere ermöglichten,
deren atemberaubendes Tempo fast zwangsläufig gegen die Wand führte.
Auch hier, abseits wissenschaftlicher Akribie, hält der schöne Schein
einer nachträglichen Prüfung nicht stand, sondern wandelt sich bei
genauerer Betrachtung zu einem ziemlich ernüchternden Sein. Die
„ungeordnete Arbeitsweise“ mit „gelegentlich chaotischen Zügen“, die
Guttenberg seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zuschrieb, hat er
offensichtlich auf seine politische Arbeit übertragen. Thomas de
Maizière, Guttenbergs Nachfolger als Verteidigungsminister, ist
gerade abendfüllend mit den daraus erwachsenden Aufräumarbeiten
beschäftigt. Das „geordnete Haus“ jedenfalls, das Guttenberg in
seiner schwülstigen Abschiedsrede übergeben hat, ist ein Luftschloss.
Es gab Parteifreunde, die das auch vor den Plagiatsvorwürfen geahnt,
gewusst, verschwiegen haben. Sie haben sich lieber auf die Zunge
gebissen. Genutzt hat es niemandem. Nicht der Politik, auch nicht uns
Medien, uns Wählern, die Guttenberg ja erst zu jenem Heiligenschein
verholfen haben, der ihn endgültig zum Scheinheiligen werden ließ.
Auch ihnen, auch uns täte ein zweiter, ein kühler, ein kritischer
Blick zuweilen ganz gut, gerade wenn Euphorie und Empathie einzelne
Menschen zu Projektionsflächen kollektiver Hoffnungen werden lassen.
Der Täuschung wohnt dann fast zwangsläufig die Enttäuschung inne.
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