Es ist eigentlich noch zu früh, einen Strich zu
ziehen unter diese für alle Beteiligten ziemlich furchtbaren
EHEC-Wochen. Es sind ja noch Hunderte in den Krankenhäusern. Man weiß
nicht, ob das kleine Kind, das gestern starb, wirklich das letzte
Opfer ist. Wie viele derzeit noch um ihr Leben kämpfen. Man weiß
nicht, wie viele Nieren ersetzt, wie viele neurologische Schäden
nachbleiben. Wessen Gesundheit dauerhaft ruiniert bleibt oder sich
doch noch erholt. Man weiß auch nicht, wie viele Hundertmillionen an
Schäden für die Bauern entstanden sind. Wir wissen allerdings schon,
dass einiges schiefgelaufen ist seit Ende April. Seit die ersten
EHEC-Fälle bekannt und zunächst dramatisch unterschätzt wurden. Es
ist also nicht zu früh, Konsequenzen zu ziehen aus diesen hilflosen
Wochen. Das beginnt natürlich und notwendig im Gesundheitswesen. Wenn
Ärzte in den Großkliniken unseres Landes Probleme haben, die
zuständigen Gesundheitsbehörden der Kommunen, der Länder, des Bundes
überhaupt zu erreichen, um alarmierende Botschaften loszuwerden, dann
sind die Informationsketten lückenhaft. Das ist kein
Allerweltsfehler, wenn es um Menschenleben geht, sondern eine
Todsünde im wahrsten Sinne des Wortes. Damit kann man nicht gelassen
umgehen. Darüber muss man sich empören. Und daraus müssen
schnellstmöglich die nötigen Konsequenzen gezogen werden. Nur wenn
man vor Ort, also ohne Zeitverluste, schnell und zielgerichtet
handeln kann, kann man von erfolgreichem Gesundheits- und
Verbraucherschutz reden. Und nur dann sind globale Großalarme
vermeidbar, die zwangsläufig enorme Kollateralschäden mit sich
bringen. Als die EHEC-Problematik Mitte Mai endlich angekommen war im
Bewusstsein der letztlich Verantwortlichen, war es eigentlich zu
spät. Die großflächige, im Nachhinein auch unsinnige Warnung vor
Tomaten, Gurken, Salat war nichts weiter als eine sehr teure
Panikreaktion. Ein Notmanöver, für das man zwar Gründe, aber leider
keine Argumente hatte. Jedenfalls keine, die einer Prüfung
standhielten. Sie war – bei allem Respekt vor der Arbeit des
Robert-Koch-Instituts und für das Engagement der viel zu kleinen
Kontrollteams – ein Offenbarungseid. Blinder Alarm, der im Zweifel
auch noch abgelenkt hat von der eigentlichen Quelle des Übels. Bitter
für das RKI, noch bitterer für dessen übergeordnete Behörde, das
Gesundheitsministerium, und damit den zuständigen Minister. Daniel
Bahr war offensichtlich überfordert mit der Herausforderung, die EHEC
ihm quasi mit der Amtsübernahme abverlangte. Er ackerte noch auf dem
falschen Feld, als ein niedersächsischer Provinzpolitiker die Wurzel
des Übels endlich gepackt hatte. Die Sprosse, als Keim solchen Übels
wahrlich kein Unbekannter. Man sollte nicht voreilig richten, aber
mit dem Kopf schütteln kann man schon nach diesem Debakel, in das man
natürlich auch das Bundesverbraucherschutzministerium einbinden muss.
Verbraucherschutz hat in diesem Fall viel zu lange nicht
stattgefunden, jedenfalls war sie unterm Strich nicht wirksam. Es ist
müßig, in solchen Fällen Rücktritte zu fordern. Man darf aber daran
erinnern, dass Minister in der Geschichte der Bundesrepublik schon
aus weitaus nichtigerem Anlass zurückgetreten sind.
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