In der öffentlichen Wahrnehmung ging es um
Leben oder Tod. Die 594 Abgeordneten, die sich für oder gegen die
Zulassung der Präimplantationsdiagnostik aussprechen mussten, standen
vor einer nahezu unmöglichen Entscheidung. Sie entstand aus einer
hochkomplexen Gemengelage, angesiedelt zwischen
verfassungsrechtlicher Notwendigkeit, privatem Erleben, religiösen
Überzeugungen und Realitätssinn. Selten wird in Berlin mit so großer
Emotionalität, so viel Betroffenheit und über alle Parteischranken
hinweg diskutiert. Umso glaubwürdiger ist das Votum des Bundestags.
Und es ist richtig. Ein striktes Nein zur PID hätte bedeutet, Paare
in einer schwierigen, angstbesetzten Situation allein zu lassen. Alle
wünschen sich gesunde Kinder. Doch die Natur meint es eben nicht mit
allen gut. Es gibt schwere Erbkrankheiten, auch solche, die
unausweichlich tödlich sind. Wer wollte über werdende Eltern, erst
recht wenn sie bereits ein Kind verloren haben oder für ein
behindertes Kind Verantwortung tragen, den Stab brechen? Sie wollen
Sicherheit – für das Kind, das leben soll, und auch für sich, wenn
sie fürchten, die schwere Bürde nicht tragen zu können. Karin
Evers-Meyer (SPD), die selbst einen schwer behinderten Sohn hatte,
hat bei ihrem Plädoyer für eine begrenzte Zulassung der PID die
eigene Biografie in die Waagschale geworfen. Das wiegt schwerer als
alle theoretischen Erwägungen. Ein striktes Nein zur PID hätte nicht
bedeutet, dass – wie gerne zugespitzt formuliert wurde – ungeborenes
Leben gerettet wird. In der Diskussion wurde oft übergangen, dass das
deutsche Recht auch bei „natürlichen“ Schwangerschaften die
Möglichkeit vorsieht, legal einen Abbruch vorzunehmen, wenn eine
Fruchtwasseruntersuchung ergibt, dass die Gesundheit von Mutter oder
Kind bedroht ist. Und niemand kann doch ernsthaft verlangen, dass
eine Frau bereits den Ansatz eines Bäuchleins haben muss, um sich für
oder gegen eine Schwangerschaft entscheiden zu können. Der
Gesetzgeber hat sich mit der Neuregelung des Abtreibungsparagrafen
218 schon zu weit hinausgelehnt, als dass er bei der PID nun weit
dahinter hätte zurückfallen können. Ein striktes Nein zur PID wäre
vielleicht moralisch erhabener gewesen, aber es hätte die deutsche
Gesetzgebung zu einer weltfernen Insel gemacht. Noch mehr Paare
würden zur künstlichen Befruchtung ins benachbarte Ausland gehen. In
weniger als zwei Stunden Fahrzeit ist man in einer tschechischen
Klinik, die damit wirbt, bei Embryonen auch Mukoviszidose und das
Fragile X-Syndrom feststellen zu können. Die Flucht ins Ausland kann
aber nicht das Ziel sein, wenn fachkundige, verantwortungsvolle
Beratung in deutschen Kinderwunschzentren möglich ist. Das Ja zur
begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik bedeutet sicher
nicht, dass Paare, die auch auf natürlichem Wege Kinder zeugen
können, nun die In-Vitro-Fertilisation vorziehen. Wer diesen
langwierigen und körperlich wie psychisch schmerzhaften Weg eines
Paares einmal miterlebt hat, der weiß, dass niemand ihn ohne Not
geht. Vor allem aber bedeutet das Ja nicht, dass der Bundestag den
Paaren in Deutschland die Entscheidung für oder gegen ein Baby
abgenommen hätte. Denn das ist letztlich nicht Sache der Politik,
sondern immer des Individuums. Jede Schwangere steht schon heute vor
der Frage: Will ich eine Fruchtwasseruntersuchung? Wenn ja, was werde
ich tun, wenn das Kind krank oder behindert ist? Tatsächlich ist dies
eine Frage auf Leben und Tod. Der Staat kann keine Antwort darauf
geben.
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