HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zum Euro und zu Wulffs Kritik

Ein Kommentar von Egbert Nießler

Märkte reagieren hektisch und auf alles und jeden: Die Äußerung
des greisen ehemaligen US-Notenbankchefs Alan Greenspan, der Euro
werde zusammenbrechen, ließ dessen Kurs umgehend sinken. Finden sich
gerade keine ähnlich gewichtigen Behauptungen, reagieren Börsianer
notfalls auch auf den Wasserstand des Titicacasees oder die Farbe des
Sonnenuntergangs. Insofern hat Bundespräsident Christian Wulff
absolut recht, wenn er von der Politik verlangt, sich nicht vom
unberechenbaren Auf und Ab an der Börse abhängig zu machen; wenn er
fordert zu agieren, statt zu reagieren, und der aus den Fugen
geratenen Bankenwelt vernünftige Leitplanken einzuziehen. Wacker
gesprochen! Nur eben nicht so leicht umzusetzen. Denn das Problem mit
den Finanzmärkten ist im Zweifel das kleinere. Das entscheidende sind
die Schuldenberge, die nicht etwa nur Griechenland und Co. angehäuft
haben, sondern auch Deutschland und Frankreich. Als er noch
Ministerpräsident in Niedersachsen war, konnte Wulff die
Verschuldungsspirale seines Bundeslandes auch nicht stoppen. Im
Gegenteil. Nun sind die Gestaltungsmöglichkeiten eines
Landespolitikers begrenzt, aber dieses Argument können auch Staats-
und Regierungschefs in Anspruch nehmen, deren Länder Mitglied
internationaler Bündnisse sind – etwa des Euro-Raumes. Und angesichts
desolater Haushalte auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen,
wie es Wulff jetzt fordert, führt in besseren Zeiten unmittelbar in
die nächste Wahlniederlage. Selbst in Krisenzeiten wie diesen werden
sie eher scheibchenweise und auf Umwegen zustande kommen. Das liegt
nicht nur am Interesse der Handelnden an ihrem politischen Überleben,
sondern auch an komplizierten und langwierigen Entscheidungswegen und
daran, dass niemand ein Patentrezept hat. Immerhin aber bietet die
Krise die Möglichkeit, überhaupt entscheidende Kurskorrekturen am
bisherigen Euro-Weg vorzunehmen und möglicherweise auch Schritte zur
Konsolidierung der Staatshaushalte einzuleiten. Das ist die Chance,
die nicht vergeben werden darf. Anderenfalls droht Greenspan recht zu
behalten.

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