Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Rechtsterrorismus in Deutschland Die wehrhafte Demokratie hat versagt HUBERTUS GÄRTNER

Eine rechtsextremistische Gruppe, die sich
„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte, hat in Deutschland
mindestens zehn kaltblütige Morde begangen und vermutlich mehrere
Anschläge verübt. Die Ermittlungen laufen. Welche Erkenntnisse,
Lehren und Konsequenzen sind aus den schrecklichen Ereignissen zu
ziehen? Erstens: Die Sicherheitsbehörden haben die Gefahr von rechts
unterschätzt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 richtete
sich das Augenmerk vor allem auf den islamistischen Terrorismus. Hier
wurden erfolgreiche Anstrengungen unternommen, um diese Szene zu
bekämpfen. Gleichzeitig radikalisierte sich aber auch der braune
Rand. Zwischen 1990 und 2010 sind etwa 150 Menschen durch rechte
Gewalttaten ums Leben gekommen, zahllose weitere wurden verletzt. Oft
wurden diese Taten nur als gewöhnliche Kriminalität registriert.
Nahezu ungestört definiert der braune Mob vor allem in den neuen
Bundesländern sogenannte „national befreite Zonen“, wo sie Angst und
Schrecken verbreiten und sich Ausländer und Behinderte nicht mehr auf
die Straße wagen. Hier hat sich die Demokratie als zu wenig wehrhaft
erwiesen. Zweitens: Im Zusammenhang mit der Thüringer Terrorgruppe
NSU hat es eklatante Ermittlungspannen gegeben. Man sollte der
Polizei nicht pauschal unterstellen, dass sie auf dem rechten Auge
blind sei. Allerdings spricht einiges dafür, dass sich ihr Blickfeld
manchmal verengte, weil die meisten Opfer ausländische Geschäftsleute
waren. Die Hypothese, hier seien die Mafia oder Schutzgelderpresser
am Werk gewesen, lag den Ermittlern näher, als die Vermutung, dass
hier Rechtsterroristen gemordet haben könnten. Drittens: Die
Hinterbliebenen der Opfer fühlen sich verhöhnt und verletzt. Es hilft
ihnen nicht, wenn Politiker jetzt reflexartig die Tatorte abklappern.
Zur Entschuldigung bedarf es einer tieferen und umfassenderen  Geste.
Viertens: Massiv beschädigt ist das Ansehen des Verfassungsschutzes.
In der Geschichte der Bundesrepublik haben die „Schlapphüte“ immer
wieder für üble Affären gesorgt. Die Verfassungsschützer sollen den
Staat vor extremistischen Bestrebungen schützen. Das ist im Falle der
NSU nicht nur nicht gelungen, sondern es gibt sogar den ungeheuren
Verdacht, dass einzelne Verfassungsschützer eine Nähe zu braunem
Gedankengut hatten. Fünftens: Die Zusammenarbeit der
Ermittlungsbehörden, insbesondere die zwischen Polizei und
Verfassungsschutz, war völlig unzureichend. Die sogenannten V-Leute
sind zur Seuche geworden. Zwar ist der Verfassungsschutz auf
Informanten aus der extremistischen Szene angewiesen. Aber vom Staat
bezahlte V-Leute, die ja selbst Extremisten sind, richten oft mehr
Schaden an, als sie Nutzen bringen. Sechstens: Deshalb müssen etliche
V-Leute abgeschaltet werden. Dann kann auch ein Verbot der NPD vor
dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben. Ein Verbot wird zwar den
Rechtsterrorismus nicht verhindern. Aber es würde der rechten Szene
einen Schlag versetzen. Die Botschaft wäre, dass
Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in Deutschland ab sofort nicht
mehr zur Wahl stünden.

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