von Till H. Lorenz
Deutschland hat die letzte Finanzkrise besser überstanden als
viele andere Industrienationen. Die Bundesregierung hat diesen Satz
zuletzt wie ein Mantra wiederholt. Und tatsächlich lief es gar nicht
so schlecht: Die Arbeitslosigkeit ist immer weiter zurückgegangen,
der Export wird in diesen Tagen erstmals die Marke von einer Billion
Euro knacken. Doch diese Erfolge sind mit Kurz- und Teilzeitarbeit,
befristeten Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeit erkauft
worden. Im Klartext: Andere Staaten schickten ihre Bürger in die
vorübergehende Arbeitslosigkeit, Deutschland seine Arbeitnehmer in
die zunehmende Armut. Ein Ausstieg aus dieser Enthaltsamkeit auf
dem Lohnzettel wurde nie mit eingeplant. Und so entpuppt sich die
vermeintliche Stärke mehr und mehr als eine Schwäche.
Die Regierung hat hierfür die Saat gestreut. Ausgehend von der
Hartz-IV-Gesetzgebung wurden bröckelnde Tarifgemeinschaften und
schwindende Lohnuntergrenzen in Kauf genommen. Der
Arbeitslosenstatistik mag dies geholfen haben, der wirtschaftlichen
Zukunft des Landes kaum. Denn das Ergebnis ist eine wachsende Zahl
von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, die nicht von ihrem
Einkommen leben können. Das passt nicht zu einer Exportnation, die
mit Innovationen statt Billigprodukten auf dem Weltmarkt punktet. Die
Bundesregierung muss konsequenter auf Bildung setzen. Denn der
Aufstieg über den Bildungsweg ist in kaum einem OECD-Staat so schwer
wie hierzulande. Universitäten haben sich seit den 70er Jahren zu
„Geschlossenen Gesellschaften“ entwickelt. Sind Eltern keine
Akademiker, ist eine Universitätskarriere des Kindes
unwahrscheinlich.
Sicherlich, bei der generellen Verteilung von Arm und Reich liegt
Deutschland noch immer im Mittelfeld der OECD-Staaten. Doch die
Geschwindigkeit, mit der die Gesellschaft auseinanderdriftet, sollte
sämtliche Alarmglocken läuten lassen. Es ist höchste Zeit, die
Notbremse zu ziehen.
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