Neue OZ: Kommentar zu Wulff

Wenn Herrscher büßen

Aus dem Mittelalter ist das Ritual der christlichen Herrscherbuße
überliefert. Der Gang nach Canossa von Heinrich IV. ist heute noch
sprichwörtlich, aber auch andere Könige wie Ludwig der Fromme oder
Otto IV. unterwarfen sich den Regeln des Bereuens und Vergebens;
zuweilen, indem sie ihr halbes Vermögen verschenkten.

Wie jedes Ritual hatte die Herrscherbuße fixe Merkmale, die
erfüllt sein mussten. Eine Selbsterniedrigung ging beispielsweise mit
ihr einher, die Öffentlichkeit des Schuldbekenntnisses und die Reue
sowie die individuelle Pein – in Heinrichs Fall etwa, tagelang
spärlich bekleidet im Schnee zu stehen. Zu den Regeln des Rituals
zählte derweil auch, dass die Vergebung hiernach zwingend erfolgen
musste, wollte die Gegenseite nicht ihrerseits Schuld auf sich laden.

Übertragen auf den Fall Christian Wulff, hieße dies: Irgendwann
hätte er sich als Staatsoberhaupt ausreichend erniedrigt. Irgendwann
hätte er genug an seine Anwälte bezahlt. Irgendwann wäre sein Leben
lange genug öffentlich durchleuchtet worden. Und seine Kritiker wären
zur Vergebung gezwungen. Aber dieser Mechanismus funktioniert nicht
mehr. Juristisch bislang nicht relevante, gleichwohl üble Vorgänge
lassen sich partout nicht aus der Welt schaffen, wenn es die andere
politische Seite nicht will. In manchen Dingen war das vermeintlich
so finstere Mittelalter fortschrittlicher als die Gegenwart.

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