Neues Deutschland: zur Kandidatur von Beate Klarsfeld für das Amt des Bundespräsidenten

Niemand muss sich Sorgen machen, dass in zwei
Wochen etwas anderes verlautbart wird als: Der neue Bundespräsident
heißt Joachim Gauck. Und es sorgt sich auch kaum jemand, außer ein
paar notorisch nervösen Leuten, die 24 Stunden täglich auf der Lauer
liegen, falls von links doch ein Gespenst um die Ecke biegt. In der
»Welt« nannte Henryk M. Broder die Vorstellung, Beate Klarsfeld könne
ins Schloss Bellevue einziehen, »eine Horrorvision«. Nein, die
Kandidatur von Beate Klarsfeld ist chancenlos, also auch völlig
ungefährlich – was das Amt betrifft. Man kann getrost davon ausgehen,
dass sie das weiß, nicht weniger jene, die sie nominiert haben. Doch
woher rührt der Eifer, mit dem ihre Kandidatur mancherorts ins absurd
Lächerliche geschrieben wird, mit dem der 73-Jährigen eine
Geltungssucht angeheftet, sie als jemand koloriert wird, der es nur
um längst vergangene Zeiten gehe? Der gerade ein knappes Jahr jüngere
Joachim Gauck, »schon lange der Präsident der Herzen« (Bild-Zeitung)
und eine Würde in Person zweifellos auch, wenn er über sich selbst
spricht, sei dagegen »nicht Geschichte, sondern Zukunft«, wie in der
WAZ zu lesen war. Geschichte, Zukunft: Die Kandidatur von Beate
Klarsfeld verweist darauf, dass sie kein »nicht, sondern« trennt,
sondern ein »und« verbindet, die Gegenwart. Es ist gerade zwei Jahre
her, seit die erste offiziell beauftragte Studie vorliegt, die die
Beteiligung des diplomatischen Dienstes am Holocaust dokumentiert und
die personellen Kontinuitäten zwischen Hitlers Diplomaten und dem
Auswärtigen Amt bestätigt. Eine vergleichbare Aufarbeitung beim BND
steht noch in den Startblöcken, bei der Polizei und anderswo hat sie
nicht einmal das Wartezimmer erreicht. Man wird nicht müde, die LINKE
zur (selbst)kritischen Auseinandersetzung mit der vor über 20 Jahren
beendeten DDR-Geschichte zu ermahnen und jährlich zu wiederholen,
dass der Mauerbau schweres Unrecht bewirkte. Nun, die LINKE tut gut
daran, sich dieser Auseinandersetzung weiter zu stellen. Doch haben
wir noch länger als ein halbes Jahrhundert zu warten, bis Union und
FDP (auch SPD: Karl Schiller) mit Klarnamen einräumen: Es war ein
Fehler, frühere SA- und NSDAP-Mitglieder zum Bundespräsidenten,
Bundeskanzler, zu Ministerpräsidenten, Bundes- und Landesministern
und Staatssekretären zu machen? Man muss ja fragen, warum dies nicht
geschieht. Kiesinger, Carstens, Höcherl, Bucher, Stücklen, Filbinger
… Niemand von ihnen, die vor der Befreiung vom Faschismus in einem
politisch zurechnungsfähigen Alter waren, lebt mehr. Geschützt werden
nicht mehr Personen, sondern eine Tradition, eine politisch
zwielichtige Kultur, die strukturell und mental dafür gesorgt hat,
dass der Blick nach rechts in den Etagen der Macht so dämmrig blieb.
Beate Klarsfeld hat die Fortwirkungen der deutschen Geschichte nicht
nur im Fall Kiesinger handgreiflich gemacht. Ihre Kandidatur erinnert
daran, dass die gesellschaftliche Debatte über das »und«, die
geschichtsbegründete wie zukunftsbildende Gegenwart, auch im Westen
nicht erledigt ist. Das ist die Beunruhigung, die wir immerhin in den
nächsten zwei Wochen erleben dürfen – und die eine echte Chance ihrer
Kandidatur ist. Einige beunruhigt auch, dass sie eine
widersprüchliche Person ist. Sie teilt dies übrigens mit vielen
Zeitgenossen, mit denen wir in einer Gesellschaft leben und hier und
da zusammenwirken.

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