Lausitzer Rundschau: Zahlmeister oder Fürsprecher? Warum die neue Bildungsministerin couragiert sein muss

Bildungspolitik ist auch Alltagspolitik. Wenn ein
Bundesland beschließt, das Sitzenbleiben abzuschaffen, dann redet
darüber die Republik, dann hat das Auswirkungen auf Kinder, Eltern,
Lehrer und den schulischen Alltag. Und wenn die Kultusminister die
Zeit bis zum Abitur um ein Jahr verkürzen, jedoch die Lehrpläne nicht
anpassen, dann leidet der Nachwuchs massiv unter dem erhöhten Druck,
der ihm durch die Politik auferlegt worden ist. Dann werden Noten,
Unterricht, Stundenpläne noch mehr zum Thema am Küchentisch der
Familien. Auch die neue Ministerin Johanna Wanka bewegt sich auf
diesem heiklen Terrain der bildungspolitischen Lebenswirklichkeit in
Deutschland. Im Bundestagswahlkampf zumal. Die Frage wird sein,
welche Rolle sie dabei für sich definiert. Auf der einen Seite kann
Wanka als Bundesministerin an den Großbaustellen im System nur wenig
herumdoktern, selbst wenn sie mehr Zeit hätte als das halbe Jahr, das
ihr bis zur Bundestagswahl im September bleibt. Die Schulpolitik
fällt in die Zuständigkeiten der Länder. Das leidige
Kooperationsverbot aus der unseligen Föderalismusreform bindet dem
Bund zusätzlich die Hände. Und bei den Hochschulen ist die neue
Ministerin genauso auf die Länder angewiesen, was Finanzierung und
gesetzliche Rahmenplanungen angeht. Einzig im Forschungsbereich kann
Wanka mit Millionen Euro für Projekte und Programme jonglieren. Und
trotzdem kann und muss sich die Ministerin jetzt der schwierigen
Aufgabe stellen, sich möglichst hörbar und couragiert in den
Bildungsalltag der Menschen einzumischen. Gerade, wenn wie derzeit
nicht mehr Kompetenz für den Bund möglich ist, so darf sie den
Ländern nicht länger allein das Podium überlassen. Wanka muss ihre
Rolle auch darin sehen, Fürsprecher für jene zu sein, die unter den
provinziellen Verwerfungen der deutschen Bildungslandschaft leiden.
Das bedeutet zugleich, dass die Ministerin ihre Funktion ebenso als
korrigierende Hand begreifen müsste. Denn in Schulen und
Universitäten geht es nicht mehr nur darum, reine Bildung zu
vermitteln. Sie leisten heute gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Von
der Integration bis hin zum Auffangen familiärer Verwerfungen. Dass
Bildung da allein Ländersache ist, passt nicht mehr in die Zeit.
Außerdem erwarten die Menschen mehr Zusammenarbeit. Mehr
Bildungsgerechtigkeit in Deutschland, die Verbesserung der
Lehrerausbildung, die Fortführung der Verhandlungen über das
Kooperationsverbot, diese Punkte will Wanka bis zur Wahl anpacken.
Das nährt die Hoffnung, dass die Ministerin ihre Rolle tatsächlich
nicht allein als Sparringspartner und Zahlmeister der Länder
begreift.

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