Mittelbayerische Zeitung: Für Luft bezahlen Schwarz-Gelb kassiert die Stromkunden schamlos ab. Dadurch gerät die Energiewende in Misskredit. Leitartikel von Stefan Stark

Als Windmacher kann es Peter Altmaier noch zur
großen Meisterschaft bringen. Nach 100 Tagen im Amt ist zwar keines
seiner 100 000 Probleme bei der Umsetzung der Energiewende kleiner
geworden. Doch der neue Umweltminister verstand es bislang, mit
seiner öffentlichkeitswirksamen Selbstinszenierung vom ärgerlichen
schwarz-gelben Chaos beim Ausbau des grünen Stroms abzulenken – wäre
da nicht die skandalöse Frage der ungerechten Kostenverteilung. Erst
vor wenigen Tagen stapfte Altmaier barfuß durchs Watt, um jedem
einzelnen Windrad an der Küste Grüßgott zu sagen. Der CDU-Politiker
stieg auf eine Seehundwaage, um Deutschland mitzuteilen, dass er mit
141 Kilo ein wahrer Wonneproppen ist. Er wollte signalisieren: Hier
ist ein politisches Schwergewicht, das sich um alle Details kümmert.
Altmaier hätte dann aber besser darauf verzichtet, sich eine
Wattschnecke zeigen zu lassen, was in Bezug auf das Tempo bei der
Energiewende Symbolkraft besitzt. Denn im Vergleich zu den
politischen Akteuren beim Ökostrom-Management bewegt sich das
Weichtier mit Lichtgeschwindigkeit durch den Nordseeschlick. Auf dem
Weg zur grünen Stromversorgung läuft so vieles schief, dass man den
Verdacht bekommt, jemand fährt den Karren absichtlich gegen die Wand.
Der gestrige schwarz-gelbe Beschluss zur Mithaftung der Bürger für
die Offshore-Windparks setzt dem Ganzen die Krone auf. Man muss es
sich auf der Zunge zergehen lassen. Weil die Regierung den Ausbau der
Stromnetze verpennt, können die Windanlagenbetreiber nur einen Teil
ihres Stroms einspeisen. Abgesehen davon, dass Altmaier den Ausbau
der Windräder bremst, obwohl er eigentlich Gas geben müsste: Für das
politische Versagen sollen die Verbraucher zahlen, indem sie die
Unternehmen für nicht verkaufte Energie entschädigen. Das wäre so,
als ob wegen verstopfter Straßen vorläufig keine neuen Autos mehr
zugelassen werden dürfen. Die Pkw-Hersteller bekämen aber für auf
Halde fabrizierte Wagen eine Prämie, die alle Autofahrer über eine
noch höhere Spritsteuer finanzierten. Mit derartigen Manövern
torpediert die Regierung die bisher hohe Akzeptanz der Bürger für die
Energiewende, die durch die Strompreisdebatte der vergangenen Wochen
sowieso schon strapaziert ist. Obwohl Kanzlerin Angela Merkel im
vergangenen Jahr persönlich versprach, die Öko-Umlage dürfe 3,5 Cent
nicht übersteigen, liegt sie bereits heute darüber. Unter anderem,
weil es großzügige Ausnahmeregelungen für Unternehmen mit einem
besonders hohen Stromverbrauch gibt. Umso mehr wird dafür bei
Privathaushalten, kleinen und mittleren Unternehmen abkassiert. Genau
diese Ungerechtigkeit aber ist es, die das gesamte Projekt der
Energiewende in Misskredit bringen könnte. Hier werden die
Konstruktionsfehler der EEG-Umlage deutlich. Obwohl eine sichere und
bezahlbare Energieversorgung eine nationale Aufgabe wäre, sind die
Lasten ungleich verteilt. Niemand stellt die Frage nach der
finanziellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Stromkunden. Ebenso
bedenklich ist, dass die Öko-Umlage einseitig die grüne Energie
verteuert, obwohl sie im Gegensatz zu Kohle und Atomkraft weder
ökologische noch ökonomische Folgekosten produziert. Aus
umweltpolitischer Sicht gehören Wind- und Sonnenstrom von der Abgabe
befreit. Dafür müsste sie auf fossile Treibhausgasschleudern und auf
die Kernenergie mit ihren Risiken für die Bevölkerung erhoben werden.
Das würde die wahren Kosten für die Stromerzeugung endlich ehrlich
abbilden und damit ganz automatisch zu einem Öko-Boom führen. Hier
könnte Altmaier beweisen, dass er mehr ist als ein Windmacher. Vor
allem aber muss der Minister dem Ausbau der Übertragungsnetze höchste
Priorität geben. Denn wenn sich hier weiter so wenig tut wie bisher,
müssen die Verbraucher noch sehr lange für heiße Luft zahlen.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de