Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Ministerin verliert Doktortitel Merkels Schavan-Nöte THOMAS SEIM

Der Fall Schavan hat eine menschliche, eine
parteipolitische und eine politische Dimension. Die Aberkennung des
Doktortitels wirkt nicht in allen gleich stark. In der Gesamtschau
aller Dinge bleibt allerdings weder Bundeskanzlerin Angela Merkel
noch ihrer Freundin und Wissenschaftsministerin eine Wahl: Ein
Verbleib im Ministeramt ist inakzeptabel. Die menschliche Dimension
des Falles mag man als schwierig klassifizieren, eine Tragödie ist
sie nicht. Annette Schavan ist nicht schuldlos schuldig. Sie mag vor
mehr als 30 Jahren die Tragweite ihres Handelns nicht wirklich
überschaut haben. Aber es bleibt dabei: Ein Hochschulgremium hat in
einem formalisierten Verfahren Betrug diagnostiziert. Die Reaktion
darauf ist die Aberkennung des Titels. So muss es sein. Die
parteipolitische Dimension des Falles kommt in die Nähe eines
tragischen Konflikts. Vor dem Hintergrund der Verfahren, die bereits
zum Verlust der Titel unter anderem bei Georgios Chatzimarkakis,
Silvana Koch-Mehrin und Karl-Theodor zu Guttenberg führten, wird man
kein Sonderrecht für die Ministerin reklamieren können, selbst wenn
ihr Fall nicht in Gänze mit den vorgenannten vergleichbar ist. Aber
auch hier liegt keine Tragödie vor, denn: Es war Schavan, die zu
Guttenberg mit ihrer Bemerkung, der CSU-Parteifreund sei ihr
„peinlich“, ein weiteres Bein stellte. Da darf sie nicht auf Milde
hoffen. Nicht bei der CSU. Und wohl auch nicht bei der Kanzlerin.
Schließlich die politische Dimension. Die Kanzlerin muss abwägen, was
mehr schadet: ein Ende mit dem Schrecken einer Kabinettsumbildung
oder ein Schrecken ohne Ende, mindestens aber bis zur Wahl. Merkel
ist zu klug, das nicht zu sehen. Sie muss sich von Schavan trennen.
Gestern schon reduzierte die Regierungschefin den früheren Superlativ
ihres „vollsten Vertrauens“ auf das schlichte „volle Vertrauen“.

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