Ostsee-Zeitung: Kommentar zu Tunesien

In Tunesien denken die gemäßigten
Ennahda-Islamisten gar nicht daran, die Regierung wie versprochen
umzubilden. In Ägypten schlossen die Muslimbrüder mit den Generälen
ein politisches Bündnis und in Libyen herrschen Scharia und
unberechenbare Clan-Milizen. Doch Gebete können keine Reformen
ersetzen, Schleier nicht Armut und Perspektivlosigkeit verdecken und
die Suren des Korans kann man nicht essen. Die in Nordafrika
herrschenden Islamisten sind von ihrer neu erlangten Macht wie
berauscht. Sie eignen sich im Namen Allahs Vollmachten an, die an die
gerade gestürzten Diktaturen Ben Alis und Mubaraks erinnern. Und den
überforderten Amerikanern und irritierten Europäern gegenüber
präsentieren sie sich als Garanten der Stabilität. Doch ein Großteil
der jungen Generation spürt, dass die politischen Rezepte der
Islamisten vergiftet sind. Jetzt begehren die Revolutionäre von 2011
erneut auf und kämpfen um soziale und politische Teilhabe. Dabei
hielten sie lange still. „Doch hütet euch vor der Wut eines
Geduldigen!“, warnte der englische Dichter John Dryden. Angst haben
die Geduldigen längst nicht mehr. Dafür jede Menge Wut.

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