WAZ: Vorrang für das Recht auf Schutz. Kommentar von Frank Preuß

Wenn ein Häftling beim Freigang gewalttätig wird,
kramt der Justizminister sofort die Statistik hervor; was bleibt ihm
auch übrig: Es ist die ganz große Ausnahme. Das stimmt natürlich,
aber damit kann man Opfer nicht vertrösten. Zahlenwerk ist für jene,
die von diesen großen Ausnahmen betroffen sind, nichts als
theoretischer Brei. Sie haben ein Recht auf Schutz. Der Fall des
flüchtigen Häftlings aus Werl, der unter dringendem Verdacht steht,
in Hamburg rückfällig geworden zu sein, zeigt das Dilemma des
Strafvollzugs. Die menschliche Justiz eines aufgeklärten Landes muss
natürlich auch einem verurteilten Mörder die Chance geben, nach einer
verbüßten Strafe in die Gesellschaft zurückzufinden. Aber weil sie
sich dabei auf Gutachterprognosen verlassen muss, sind Irrtümer nie
auszuschließen. Gerade weil dieses Restrisiko besteht, müssen die
Maßstäbe für Freigänge in der Praxis strengstmöglich angelegt werden.
Das ist in diesem Fall womöglich nicht so gewesen – der Mann war
immer noch drogensüchtig – und wäre damit fahrlässig. Fahrlässigkeit
jedoch darf sich die Justiz nie erlauben. Sie kostet das Vertrauen
der Menschen in den Staat. Und das ist die wichtigste Währung in
einer Demokratie.

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