Allg. Zeitung Mainz: Gelassenheit bitte / Kommentar zu Bildungsstudien

Deutschlands Schüler und ihre Leistungen werden
mittlerweile in allen Altersstufen derart häufig gemessen, dass die
erste Empfehlung im Umgang mit den neuesten Befunden lauten muss:
bitte ein wenig mehr Gelassenheit. Seit Jahren bewegen sich die
Messwerte auf mehr oder weniger gleichem Niveau. Eine komplette
Schülergeneration ist seit den ersten Pisa-Alarmrufen an die
Hochschulen gegangen oder ins Berufsleben eingetreten, und dieses
Land zählt immer noch wirtschaftlich zu den Top-Standorten der Welt
und ist auch intellektuell keineswegs auf dem Weg vollständiger
Verödung. Auf den heutigen Schulkindern lasten viel Arbeit und hohe
Anforderungen, und sie entsprechen den Erwartungen in der Summe
durchaus sehr anständig. Aber nicht nur deswegen sollte jetzt
Gelassenheit walten. Das Kernproblem des deutschen Bildungswesens –
seine zu geringe soziale Durchlässigkeit – kann nicht durch
permanente Reformen oder durch Dauerbeschuss der Schulen mit Studien
beseitigt werden. Ein Lehrer oder eine Lehrerin muss auf alle Kinder
angemessen eingehen wollen, aber sie brauchen dafür auch schlicht und
einfach Zeit, Ruhe und Ressourcen. Und noch etwas sollte klar sein:
Natürlich sollte unser Schulsystem auf bestmögliche Chancengleichheit
ausgerichtet sein. Aber wo Elternhäuser elementare Grundtugenden –
Fleiß, Leistungsbereitschaft und Neugier – nicht vermitteln, kann die
Schule nicht alles reparieren. Der Begriff „Risikoschüler“ verrät
eine bedenkliche Haltung, nämlich die, dass im Falle des Scheiterns
immer das System – also die anderen – daran schuld ist. Wer das
glaubt, glaubt vermutlich auch, dass unsere Schulen besser werden,
wenn auf jeden der – zu wenigen – Lehrer mindestens ein Bürokrat und
ein Forscher kommen, die ihm per Studie seinen Job erklären.

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