Aus Bayern kommt ein Lehrstück über die
angewandte Politik in der Moderne: Im Zeitalter von blitzschneller
Massenkommunikation im Internet wirken die
Aschermittwochsveranstaltungen der Parteien wie womöglich
liebenswerte Nostalgie. Die wahre Meinungsbildung findet nicht in den
Bierzelten, sondern am Bildschirm statt – und die CSU gehört zu den
Parteien, die das längst spüren. Keine Frage, die SPD hatte diesmal
die beste Leitung. In feinster Qualität kommen die Bilder ihrer
Bierzeltredner rüber übers Internet – noch besser als bei CSU, Grünen
und Piraten. Aber die CSU hat den besseren Film: Mit bayerischen
Bergen, dem politischen Urgestein Franz Josef Strauß, auch auf dem
Rennrad – und mit den besten Aschermittwochssprüchen aus fünf
Jahrzehnten. Das ist wohl Laptop und Lederhose in Reinkultur. Noch
spannender: Der politische Nutzen solcher Inszenierungen wird wohl
nicht mehr hauptsächlich am Applaus im Saal gemessen, sondern an den
Klicks bei „Facebook“ und der Aufruf-Frequenz bei „Youtube“. Und da
hatte die CSU gestern die Nase vorn, sogar vor den „Piraten“. Ihr
niederbayerisches Dschungelcamp ist wohl moderner, als Trachtenhüte
und Blaskapelle ahnen lassen. Wer gelten lässt, dass aus Volkes
Stimme Wahrheit spricht, der muss einräumen, dass durch solche Events
Meinungsbildung stattfindet – höchst oberflächlich vielleicht, aber
auch höchst wirksam. Hier ein staatsmännischer Seehofer, der
Wohltaten für die Massen verspricht, dort ein SPD-Hoffnungsträger
Steinbrück, der es in der alten Schule der Bierzelt-Witze versucht.
Und über allen der altliberal-tapsige Charmeur Rainer Brüderle,
allgegenwärtig auf den Bußveranstaltungen, obwohl die FDP im Internet
selber ein Schattendasein fristet. Niemand soll sagen, dass der
bayerische Aschermittwoch politischer geworden sei. Als sie in den
Sälen noch unter sich waren und Spione den Rednern die Neuigkeiten
aus den Konkurrenz-Veranstaltungen zusteckten, war die Angelegenheit
noch spannend, weil authentisch. Heute, vor einem Massenpublikum an
den Computern, ist der Reiz des Augenblicks dahin. Der Wechsel
zwischen Schwarz, Rot oder Grün ist nur ein Klick – und die Suche
nach der Wahrheit dennoch nicht leichter geworden. Eher bewegend wird
da die Frage, warum immer weniger Menschen zur Wahl gehen, obwohl es
so einfach geworden ist, mittendrin zu sein in der virtuellen
Politik.
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