Deutschland hat die Wahl. Ganz Deutschland?
Nein. In Nordrhein-Westfalen mit seinen 18 Millionen Menschen lebt
nur ein knappes Viertel der Deutschen. Dieses Viertel aber ist groß
genug, um eine einfache Landtagswahl in den Rang einer kleinen
Bundestagswahl zu erheben. Im Mai 2005, zum Beispiel, kostete der
historische Regierungswechsel in Düsseldorf auch den damaligen
Bundeskanzler Gerhard Schröder das Amt. Noch an dem Abend, an dem die
Sozialdemokraten nach 40 Jahren die Macht an Rhein und Ruhr verloren,
entschied sich Schröder für vorgezogene Neuwahlen – und scheiterte
spektakulär. So weit wird es diesmal nicht kommen, dazu sitzt seine
Nachfolgerin noch zu sicher im Kanzlersattel. Der CDU-Vorsitzenden
Merkel aber müssen die flauen Umfragewerte und der verunglückte
Wahlkampf ihres Spitzenkandidaten Norbert Röttgen sehr wohl zu denken
geben. Eine Partei, die im bevölkerungsreichsten Bundesland kaum über
30 Prozent hinaus kommt, hat nicht nur ein demoskopisches Problem,
sondern auch ein strukturelles. Selbst die enorme Popularität der
Regierungschefin reicht offenbar nicht aus, um die Bindekräfte im
bürgerlichen Lager zu stärken. Die CDU hat sich, wenn man so will,
von der Kanzlerin entkoppelt. Gleichzeitig offenbart der Wahlkampf in
NRW auch ein personelles Dilemma der Union: In der Thronfolge kommt
nach Angela Merkel nicht Röttgen als Vorsitzender des größten
Landesverbandes, sondern erst einmal lange nichts – und dann, wenn
überhaupt, Sozialministerin Ursula von der Leyen. Wie vor einigen
Jahren, als er sich nicht zwischen seinem Mandat und einem Spitzenjob
beim Bundesverband der Deutschen Industrie entscheiden konnte, hat
der Umweltminister auch diesmal seinem Ruf als smarte Ich-AG alle
Ehre gemacht. Statt klar zu sagen, dass er notfalls auch als
Oppositionschef nach Düsseldorf gehen würde, hat er sich erneut alle
Türen offen gehalten und auch in seiner Partei viel an Reputation
eingebüßt.
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