Badische Zeitung: Südafrika nach Mandelas Tod: Chance zur Erneuerung – Leitartikel von Johannes Dieterich

Das meiste, was in den vergangenen Tagen über
Nelson Mandela, den Gründungsvater des neuen Südafrika, gesagt wurde,
ist wahr: Er war „ein Gigant der Geschichte“ (Barack Obama), ein
„unglaubliches Geschenk für die Menschheit“ (Desmond Tutu), der
„größte Sohn, den Südafrika jemals hervorgebracht hat“ (Jacob Zuma).
Nicht, dass sich der 95-jährige Pensionär noch in globale Debatten
oder die Geschicke Südafrikas eingemischt hätte: Trotzdem wird sein
Tod zumindest seine Heimat noch unberechenbarer machen. Die bloße
Anwesenheit des moralischen Kolosses wirkte wie ein Warnsignal für
Politiker, die die Orientierung zu verlieren drohten: Was würde
Madiba dazu sagen?, mussten sich entgleisende Entscheidungsträger
immer wieder fragen lassen. Gewiss wird Südafrika jetzt nicht
wieder in Schwarz und Weiß auseinanderbrechen oder gar von einer
„Nacht der langen Messer“ heimgesucht werden, wie mancher ängstliche
Weiße glauben machen will: In ihrer Trauer und der Feier des Lebens
ihres außergewöhnlichen Führers sind sich die Südafrikaner eher
wieder näher gerückt. Das neu gestiftete Wir-Gefühl wird gewiss noch
eine Weile halten. Das Kap hat zwar seinen bedeutendsten Sohn nicht
aber seine Hoffnung verloren. Seiner Partei, dem regierenden
Afrikanischen Nationalkongress (ANC) erwies das erzloyale Mitglied
selbst im Sterben noch einen Dienst. Für die in schwere Schieflage
geratene Organisation hätte der Zeitpunkt seines Abschieds gar nicht
besser kommen können: Gerade war Staats- und ANC-Präsident Jacob Zuma
wieder einmal bis zum Hals in einem Skandal versunken, und das wenige
Monate vor den Wahlen. Dieses Mal geht es um die Verwendung von
Steuergeldern für sein luxuriöses Privatanwesen. Nun darf der ANC
hoffen, dass der Tsunami der Gefühle den Ärger mit sich reißt: Auch
wenn die gellenden Pfiffe, die sich Zuma bei der zentralen
Gedenkveranstaltung im Johannesburger Stadion vor fast hundert
Staats- und Regierungschefs aus aller Welt anhören musste, etwas
anderes nahelegt. Doch Zuma ist nur die Spitze des Müllbergs. Aus
der Organisation selbstloser Befreiungskämpfer, die mit Albert
Luthuli und Nelson Mandela gleich zwei Friedensnobelpreisträger
hervorgebrachte, ist eine Kadertruppe nach den Fleischtöpfen des
Landes jagender“Fat Cats“ geworden: Der auch intern tobende
Raubtierkampf könnte – gemeinsam mit handfesten ideologischen
Differenzen – die über 100 Jahre alte Organisation früher oder später
auseinanderreißen. Denn von dem derzeitigen guten Gefühl sollte
sich keiner täuschen lassen. In Wahrheit ist der Regenbogenstaat
krank: Ausgezehrt von wirtschaftlicher Stagnation und einem
anhaltenden Wohlstandsgefälle, das die ohnehin nur ansatzweise
zustande gekommene soziale Harmonie zerstört. Während es der Mehrheit
der Weißen und einer wachsenden Minderheit von Schwarzen gut oder
sogar immer besser geht, verharrt ein Großteil der Schwarzen in
bitterer Armut und verliert zunehmend die Hoffnung, dass das
irgendwann anders wird. Zuma & Co haben kein Konzept, wie sie der
Misere begegnen könnten: Sie sind zu uninspiriert und zu sehr damit
beschäftigt, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Dabei
muss Südafrika dringend wirtschaftlich stabilisiert und dabei
„geistig-moralisch“ auf Kurs gehalten werden. Zuma hat bewiesen, dass
er dazu nicht in der Lage ist. Wenn sich seine Partei nicht auf die
Vision und den selbstlosen Einsatz ihres größten Sohns Mandela zurück
besinnt, könnte dessen beispielloses Lebenswerk schließlich doch
umsonst gewesen sein. Immerhin: Südafrika hat die Chance, sich im Tod
seines Gründervaters weiter zu vereinen und nach vorne zu sehen.
Eine vergleichbare Gelegenheit zum sich Zusammenreißen wird es so
schnell nicht wieder geben.

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