Eine Ära geht zu Ende, die von Michael Müller als
Parteivorsitzender der Berliner SPD, aber auch die von Klaus Wowereit
als starker Mann der Berliner Sozialdemokraten. Mit einer Mehrheit
von 22 Stimmen wählten die 225 Parteitagsdelegierten Jan Stöß, den
Parteilinken und Kreisvorsitzenden aus Friedrichshain-Kreuzberg, am
Sonnabend zum neuen SPD-Chef in Berlin. Michael Müller, der
langjährige Parteivorsitzende und jetzige Stadtentwicklungssenator,
hat vergeblich um sein Amt gekämpft. Und weil der Regierende
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Müller bei diesem Versuch offensiv
unterstützte, weil Müller seit Jahren sein Vertrauter ist, ist es
auch eine krachende Niederlage für Wowereit persönlich. Die Berliner
SPD bringt damit sich, vor allem aber Wowereit in eine schwierige
Lage. Stöß, der kein Amt im Senat oder einem Bezirksamt hat, kann
sich nur als Parteichef profilieren, indem er die Senatsarbeit
kritisiert. Sich gegen die Arbeit von Wowereit und die der
SPD-Senatoren stellt und eigene Forderungen erhebt. Andernfalls wird
der neue Parteivorsitzende öffentlich kaum auffallen, in den Medien
keine Rolle spielen. Stöß ist nicht der Typ, der sich mit dem
Organisieren von parteiinternen Veranstaltungen und dem Verschicken
von roten SPD-Flyern zufrieden gibt. Der Berliner SPD droht damit
Streit über jedes Senatsprojekt – von der Teilprivatisierung der
S-Bahn über die Sanierung des Internationalen Congress Centrums (ICC)
bis hin zur künftigen Mieten- und Bildungspolitik. Das ist nicht gut
für die SPD, aber auch nicht gut für Berlin. Und wahrscheinlich wird
die ganze Sache noch komplizierter werden: Sollte Stöß nämlich mit
seinem neuen SPD-Landesvorstand auf die Idee kommen, darüber hinaus
auch die CDU, deren Senatoren und Arbeit zu kritisieren, geräte die
große Koalition, gerade mal ein halbes Jahr im Amt, in eine Krise.
Dann müsste Wowereit als Senatschef vermitteln, sich zwischen Stöß –
also die SPD-Führung – und die CDU stellen. Daraus kann nichts
Konstruktives entstehen. Für Wowereit ist der Ausgang des Parteitags
deshalb eine Katastrophe. Der Regierende Bürgermeister ist nach dem
Flughafendesaster beim BER schwer angeschlagen, er hätte jetzt von
seiner Partei gestützt werden müssen, will er die BER-Krise – die
noch nicht zu Ende ist – überstehen. Doch die Parteilinken, die sich
um Stöß und den SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh sammeln, und die
Parteirechten, die hoffen, mit Stöß– Hilfe für den Bundestag
aufgestellt zu werden, taten wissentlich das Gegenteil. Und auch wenn
Wowereit und einige Redner auf dem SPD-Parteitag es bestritten:
Natürlich geht es mit dieser Richtungsentscheidung auch um ihn, um
seine Nachfolge. Damit ist nicht gesagt, dass Stöß oder der mit ihm
verbündete Fraktionschef Saleh nun der nächste Regierende
Bürgermeister, besser: der nächste SPD-Spitzenkandidat in Berlin
wird. Aber ohne sie wird der nicht ausgewählt werden. Ohne Wowereit
schon.
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