Mit den Piraten ist es ein bisschen wie mit Joachim
Gauck: Sie sind zu solchen Hoffnungsträgern hochgejubelt, dass
Enttäuschungen gar nicht ausbleiben können. Schon bekommen denn auch
die ersten Piraten Angst vor ihrer fetten Beute. Die Partei habe das
Budget einer 0,2-Prozent-Partei, nach Programm und Struktur sei sie
eine Zwei-Prozent-Partei – nach den Erwartungen an sie aber eine
Zwölf-Prozent-Partei, warnt die Geschäftsführerin der Piraten, Marina
Weisband. Was nach immer neuen Umfragen oberhalb der
Zehn-Prozent-Marke für politische Furore im Lande sorgt, stimmt die
politischen Aufsteiger des Jahres schon nachdenklich. Sie fürchten
vermutlich nicht ganz zu Unrecht, dass ihre Wähler Hoffnungen mit
ihnen verbinden, die sie dauerhaft nicht erfüllen können, wenn sie
erst einmal richtig im Politbetrieb angekommen sind. Es muss wohl
einiges faul sein in unserer Parteiendemokratie, wenn jüngst im
Saarland weniger als zehn Prozent der Piraten-Wähler sagten, sie
hätten der Inhalte wegen für die bunte Truppe votiert. Weit mehr als
80 Prozent gaben zu, die Piraten unabhängig von programmatischen
Aussagen gewählt, ihnen also einen Blankoscheck ausgestellt zu haben.
Wohl in der Hoffnung auf einen neuen Politik-Stil. Selbst die Hürde
vor dem Einzug in den nächsten Bundestag scheint für die Piraten kein
ernst zu nehmendes Hindernis mehr zu sein. Umfragen prognostizieren
ihnen einen Stimmenanteil zwischen zehn und zwölf Prozent. Über das
Geheimnis ihres Erfolges gibt es ebenso viele Erklärungsversuche wie
Spekulationen über die Überlebenschance, wenn die Piraten denn im
Alltag der Parlamente ankommen und politische Antworten auf
gesellschaftliche Herausforderungen geben müssen. Noch leben sie von
ihrer unkonventionellen – oft auch naiven – Frische, vom
Infragestellen althergebrachter Strukturen und der ideologisch
bislang nicht klar zu verortenden Programmatik, soweit die überhaupt
erkennbar ist. Sie ist eindeutig weder dem linken noch dem rechten
Parteienspektrum zuzuordnen. Eine neue Offenheit, die sie für
abgetauchte Nichtwähler ebenso wählbar macht wie für Wählerschichten,
die nach Neuem dürsten. Dabei zeigen sich frustrierte Wähler links
der Mitte und der vom Untergang bedrohten FDP auffallend
kaperungswillig. Wohin das alles machtpolitisch führt – auch der
Machtfrage werden die Piraten nach weiter erfolgreichen Beutezügen
nicht mehr ausweichen können -, bleibt wie so vieles andere mit
dieser Partei vorerst offen. Kurzfristig ist zu vermuten, dass der
Einzug der Piraten in die Parlamente eher das Gegenteil von dem
auslöst, was von ihnen erwartet wird. Statt neue Macht- und damit
Koalitionsoptionen zu eröffnen, dürften sie dazu beitragen, dass sich
die Allmacht der großen Koalitionen (wie schon in Berlin und an der
Saar) weiter ausbreitet. Weil es dann für Rot- Grün nicht mehr reicht
und die Piraten noch nicht koalitionsfähig sind. Frau Merkel und die
Union dürfen vorerst die Einzigen sein, die keine Angst vor den
Piraten haben.
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