BERLINER MORGENPOST: Der Spätverkauf darf nicht sterben – Leitartikel von Christine Richter

Ich liebe meinen Spätkauf. Erst am Sonntag bin ich
wieder dort gewesen, in dem Laden an der Senefelderstraße in
Prenzlauer Berg, um Zeitungen einzukaufen. Und Kaugummis. Und Milch,
denn die hatte ich am Sonnabend im Supermarkt vergessen. An anderen
Tagen, wenn es in der Redaktion mal wieder spät geworden ist, hole
ich mir dort auch schon mal ein kaltes Bier oder eine Kleinigkeit zum
Essen. Der Spätverkauf, von den Ost-Berlinern liebevoll „Späti“
genannt, ist in meiner Gegend beliebt, das Geschäft, gerade am
Sonntag, läuft gut, wenn die Supermärkte – die ja werktags auch bis
22 Uhr und einige wenige sogar bis 24 Uhr geöffnet haben –
geschlossen sind. Das ist gut für die Inhaber der Spätverkaufsläden,
für die es immer schwerer wird, sich neben Discountern, Supermärkten
und Drogerieketten mit ihrem großen Angebot zu behaupten. Doch nun
droht den Spätverkaufsläden das Aus. Gerade am Sonntag, wo sie doch
eine zentrale Anlaufstelle für viele Anwohner sind. Weil ein
58-Jähriger aus Prenzlauer Berg sich gestört fühlt, Verstöße gegen
das Ladenöffnungsgesetz festgestellt und Anzeige erstattet hat,
kontrolliert das Ordnungsamt nun häufiger und verhängt hohe
Bußgelder. Denn sonntags oder an Feiertagen dürfen die
Spätverkaufsläden bis 16 Uhr öffnen, wenn sie ausschließlich Blumen,
Zeitungen, Backwaren und Milchprodukte verkaufen. Bis 20 Uhr ist dann
nur noch der Verkauf von „Reisebedarf“ erlaubt – Postkarten ja, aber
keine Zeitungen mehr. Und erst recht keine Flasche Wein, die man zum
Essen zu Freunden noch mitnehmen will. Was für ein Irrwitz.
Sicherlich, noch gibt es diese Vorschriften. Aber durch diesen
absurden Streit in Prenzlauer Berg wird offensichtlich, dass diese
Regelungen veraltet sind und an der Lebensrealität der Menschen
vorbeigehen. Die Spätverkaufsläden haben auch im 21. Jahrhundert ihre
Nische gefunden, sie brauchen jetzt mehr Flexibilität. An Tankstellen
ist es schon seit Langem an Sonn- und Feiertagen erlaubt, Getränke,
Alkohol, Backwaren nach 16 Uhr zu verkaufen. Warum also nicht auch in
den Spätverkaufsläden, die von den Verbrauchern genutzt werden? Und
noch ein Argument zählt: Diese Läden sichern Arbeitsplätze, da
sollten die politisch Verantwortlichen ein Interesse haben, jeden
einzelnen zu erhalten. Über eine Sonderregelung für
Spätverkaufsstellen werden sich wohl auch die Ordnungsämter freuen,
die schon jetzt nicht genügend Personal für all ihre Aufgaben haben.
Sie sollen nicht nur die Einhaltung des Ladenschlussgesetzes
überwachen, sondern auch gewährleisten, dass der Jugendschutz in den
Kneipen eingehalten, das Rauchverbot beachtet wird. Sie müssen
kontrollieren, ob die Autofahrer die Parkgebühren bezahlt haben, dass
die Hunde an der Leine geführt werden – und so weiter und so weiter.
An den Spätverkaufsstellen und ihrem breiten Warenangebot über 16 Uhr
hinaus stört sich in Berlin niemand – außer einem offensichtlichen
Querulanten. Die kleinen Läden – ob am Kollwitzplatz, an der Danziger
Straße oder der Senefelderstraße – sind ein Stück Lebens- und
Kiezkultur. Gerade an einem Sonntag.

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