BERLINER MORGENPOST: Die Beweiskette bleibt löchrig Jochim Stoltenberg über ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren

Als das erste NPD-Verbotsverfahren vor neun Jahren
wegen der von V-Leuten mit gefütterten Anklageschrift jämmerlich
scheiterte, waren sich alle demokratischen Parteien einig: Ein
zweites Mal darf der Versuch, die Partei der Unbelehrbaren vom
demokratischen Spielfeld zu verbannen, nicht scheitern. Dieser Schwur
scheint vergessen. Fast alle Innenminister der Länder sind
entschlossen, einen erneuten Gang zum Verfassungsgericht in Karlsruhe
zu wagen. Den endgültigen Beschluss wollen ihre Regierungschefs
voraussichtlich noch in dieser Woche fassen. Doch es droht ein
einsamer zu werden. Weil es erhebliche rechtliche – nicht etwa
politische – Bedenken gibt, bleibt es sehr fraglich, ob Bundestag und
Bundesregierung wie 2003 das Verbotsverfahren mittragen. So
wünschenswert ein Erfolg in Karlsruhe ist, so berechtigt die Zweifel,
ob es wirklich klug, mehr noch, ob es am Ende sicher ist, dass die
Richter in Karlsruhe und dann möglicherweise auch letztinstanzlich
die am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein
Verbot sanktionieren.

Wer die NPD verbieten will, darf nicht kleinmütig sein, hieß es
dieser Tage aus Kreisen der SPD. Aber es geht nicht um Klein- oder
Großmut, sondern um untrügliche Beweise, die früheren Urteilen beider
Gerichte in vergleichbaren Verfahren standhalten. Für das Verfahren
beim Bundesverfassungsgericht zeichnen sich zumindest zwei Risiken
ab. So ist nicht garantiert, dass das Anklagematerial diesmal sauber
ist, also nicht auch auf Informationen von V-Leuten basiert. Und ob
der Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit wirklich blitzsauber
geführt werden kann, darüber ist sich im Vorfeld schon eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe nicht einig geworden, die die
Erfolgsaussichten eines erneuten Verfahrens prüfen sollte.

Die juristischen Hürden in Straßburg scheinen noch höher. Dort
bestätigten die Richter Parteiverbote bislang nur, wenn die jeweilige
Partei Terroristen aktiv unterstützte oder die reale Chance hatte,
die Macht im Land zu übernehmen. Beides trifft auf die NPD nicht zu.
Beziehungen zum internationalen Terrorismus sind nicht offenkundig,
national steht sie finanziell kurz vor der Pleite, politisch ist sie
von der Macht noch weiter entfernt als Hertha BSC von der Deutschen
Meisterschaft. Die NPD wird also sehr wahrscheinlich von sich aus zu
den europäischen Richtern ziehen, um sich von ihnen wiederbeleben zu
lassen, sollten die deutschen ihr den Garaus machen.

Das verständliche Bemühen, die NPD zu verbieten, darf keine
Ersatzhandlung für das Versagen im NSU-Skandal sein.

Doch dieser Eindruck drängt sich auf, solange die Beweiskette
löchrig ist. Ein zweites Verfahren darf nicht scheitern, weil dann
die NPD von sich behaupten könnte, sie sei demokratisch
höchstinstanzlich beglaubigt. Solange der Ausgang eines Verfahrens so
ungewiss ist wie derzeit, muss die NPD von allen Demokraten
politisch, nicht juristisch bekämpft werden.

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