BERLINER MORGENPOST: Ehrung statt Sonntagsreden / Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Unter den 136 toten Flüchtlingen an der Berliner
Mauer ist das Drama um Peter Fechter das bedrückendste und weltweit
bekannteste. Des damals 18-jährigen Maurergesellen, der am 17. August
1962 im Mauerstreifen von DDR-Grenzsoldaten angeschossen wurde und
dort ohne jede Hilfe verblutete, wird deshalb an den Jahrestagen von
den Politikern dieser Stadt mit Kränzen und mitfühlenden Worten
gedacht. Aber zu mehr als Pathos reicht es offensichtlich noch immer
nicht. Selbst die an den Mord mahnende Stele in der Zimmerstraße ist
einer privaten Initiative zu danken. 50 Jahre nach dem qualvollen Tod
des jungen Arbeiters, der aus dem „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ vor den
Kommunisten fliehen wollte, um in Freiheit leben zu können, kann sich
die Stadt noch immer nicht dazu durchringen, Peter Fechter und dessen
Schicksal durch ein Ehrengrab oder eine Straßenbenennung unvergessen
zu machen.

Jetzt ist gerade ein erneuter Vorstoß der Bezirksversammlung
Pankow beim Senat gescheitert, die Grabstätte Fechters auf dem
Friedhof der Wiederauferstehungsgemeinde in Berlin-Weißensee zur
Ehrengrabstätte des Landes Berlin zu ernennen.

Der ablehnende Bescheid aus der Senatskanzlei mag zwar rein formal
korrekt sein. Ehrengrabstätten nämlich, so die
Ausführungsvorschriften, bedingen, dass der Tote sich mit „besonderen
Verdiensten“, „hervorragenden Leistungen“ oder „einem überragenden
Lebenswerk“ um Berlin verdient gemacht hat. Das trifft auf Fechter
zumindest vordergründig nicht zu. Bei etwas weniger Bürokratengeist
und mehr politischem Gespür in der Umgebung des Regierenden
Bürgermeisters – und bei Klaus Wowereit selbst – wäre eine andere
Entscheidung dem Anspruch und Geist dieser Stadt angemessen gewesen.
Berlin, die Stadt der Freiheit; Berliner, die der Diktatur unter
Lebensgefahr die Stirn bieten. Das sind Ansprüche, mit denen Berlin
gern für sich wirbt. Wer hat diesen Freiheitsdrang bewegender
bewiesen als Peter Fechter? Damit soll er sich nicht verdient gemacht
haben um das Selbstverständnis dieser Stadt? Nach 2005 und 2010 hat
die Senatskanzlei nun zum dritten Mal den Antrag auf das Ehrengrab
abgelehnt. Den Sonntagsreden wie jüngst am 50. Todestag müssen bei
einem fälligen vierten Antrag endlich Taten folgen.

Noch nicht entschieden, aber nicht minder peinlich ist die
Diskussion über die Benennung einer Straße nach Peter Fechter. Dabei
geht es um die Zimmerstraße in Mitte, an der der 18-Jährige starb.
Diesmal ist der Senat für die Ehrung. Die beiden zuständigen Bezirke
Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte dagegen können sich nicht einigen:
In Friedrichshain-Kreuzberg gibt es bislang nur eine Resolution der
CDU, die eine Umbenennung fordert; und Mitte sagt, es läge überhaupt
kein Antrag vor.

In Berlin gibt es eine Rosa-Luxemburg-Straße und einen
Rosa-Luxemburg-Platz, eine Karl-Liebknecht-Straße und einen
Ernst-Thälmann-Park. Aber für Peter Fechter, der vor Kommunisten
fliehen wollte, gibt es noch immer keine Straße. Eine Schande.

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