BERLINER MORGENPOST: Ein guter Kompromiss / Leitartikel von Joachim Fahrun

Wie lange diskutieren wir schon über das ICC? 2003
war es, als ein gewisser Michael Müller, damals noch nicht Senator
für Stadtentwicklung für die SPD, über den Abriss des
Kongresszentrums am Messedamm räsonierte. Er war seinerzeit nicht der
erste, der sich Gedanken machte über die Zukunft des silbernen
Kolosses. Ein Jahrzehnt ging es hin und her. Gutachtenschlachten
wurden ausgetragen. Manche fanden Asbest, von dem die ICC-Architektin
sagt, das sei nie verbaut worden. West-Berliner Befindlichkeiten
wurden bemüht und auch Ost-Berliner Gerechtigkeitssinn geweckt. Denn
der Palast der Republik musste weichen, während der alte Westen viel
Geld für die Sanierung des ICC bekommen sollte.

Jetzt ist diese unselige, spalterische Diskussion hoffentlich
beendet. Der neuen Koalition aus jungen Politikern wie Raed Saleh und
Florian Graf, den Fraktionschefs von SPD und CDU, ist es gelungen den
Knoten zu zerschlagen und eine pragmatische Lösung zu finden. Das ICC
bleibt erhalten und wird nicht abgerissen, was ohnehin teuer gewesen
wäre und zudem den Verkehr auf der Stadtautobahn lahm gelegt hätte.
Aber der 33 Jahre alte Bau voller beeindruckender, aber maroder
Technik der 70er-Jahre wird auch nicht einfach so für mehr als 300
Millionen Euro wieder als Kongresszentrum hergerichtet, das die
Messegesellschaft in dieser Größe gar nicht braucht. Stattdessen
bekommt die designierte Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) den
offiziellen Auftrag, mit Investoren und Projektentwicklern über
andere Nutzungen zu verhandeln. Etwa mit Hotels, die in der
Nachbarschaft zum Messegelände gefragt wären. Möglicherweise ergeben
sich andere Ideen, über die bisher nicht nachgedacht werden durfte,
weil offiziell immer noch die Sanierung als Kongresspalast auf der
Tagesordnung stand. Die Messe erhält die Chance, einen Teil der
Flächen doch selbst zu nutzen. Die CDU setzte durch, dass die bisher
für das ICC veranschlagte Summe noch einmal auf nun 200 Millionen
angehoben wurde. Und die SPD-Seite darf für sich in Anspruch nehmen,
schon länger für die nun gefundene Lösung geworben zu haben. Das ist
ein sinnvoller Kompromiss, der jetzt umgesetzt werden muss.

Bei einer neuen Nutzung des „Raumschiffs“ wird es darum gehen, den
70er-Jahre-Charakter der Innenräume zu erhalten. Jeder Entwickler,
der etwas auf sich hält, muss jetzt daran interessiert sein, kein
08/15-Interieur zu schaffen. Wenn das gelingt und die Messe noch in
geringerem Umfang Kongressgäste im ICC begrüßen wird, sollten die
alten Kämpfe um dieses Wahrzeichen des Berliner Westens beendet sein.

Obwohl die Puristen sich weiterhin beklagen werden, ist der nun in
wenigen Monaten gefundene Weg ein Beispiel dafür, wie Politik in
Berlin auch funktionieren kann. Man sagt, was man sich vorstellt,
gleicht es ab mit den technischen und finanziellen Möglichkeiten,
erwägt die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und setzt sich dann an
einen Tisch, um sich vernünftig zu einigen. Die Fraktionschefs Saleh
und Graf machen vor, wie große Koalition auch funktionieren kann. Das
hätten viele ihnen nicht zugetraut. Für das durch
Senatoren-Rücktritte, Flughafen-Desaster und NSU-Diskussion
angeschlagene Bündnis aus SPD und CDU ist das der erste Lichtblick in
dunklen Monaten.

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