Was immer am Ende noch alles aufgedeckt wird:
Wirkung und Schaden des Göttinger Klinikskandals sind schon jetzt
fatal. Kaum ein medizinischer Bereich ist so entschieden auf
Vertrauen angewiesen wie die Transplantationsmedizin. Das gilt vor
allem für die Bereitschaft, eigene Organe nach dem (Hirn-)Tod zu
spenden, um das Leben eines anderen zu retten. Um diesen letzten
menschlichen Dienst gegenüber einem ansonsten Todgeweihten ist es in
Deutschland ohnehin schlecht bestellt. Wenn jetzt offenkundig wird,
dass manipuliert, betrogen wurde und gespendete Organe möglicherweise
gar käuflich sind, dann erschüttert das das notwendige Vertrauen
zutiefst. Mit der tödlichen Konsequenz, dass die Bereitschaft zur
Organspende schwindet und weniger Menschen ein neues Leben geschenkt
werden kann. Erst vor vier Wochen hat der Bundestag das
Transplantationsgesetz mit dem Ziel geändert, die Spendenbereitschaft
zu fördern. Fortan werden alle erwachsenen Deutschen von ihrer
Krankenkasse in regelmäßigen Abständen gefragt, ob sie zu einer
Organspende bereit wären. Sie können mit „Ja“ oder „Nein“ antworten,
sich aber auch gar nicht entscheiden. Weil viele Menschen bei dieser
Post von ihrer Kasse überhaupt erstmals intensiver über eine
Organspende nachdenken, hoffen die Bundestagsabgeordneten auf mehr
Zuspruch. Derzeit warten etwa 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan;
täglich sterben drei von ihnen. Nach Umfragen sind Dreiviertel aller
Deutschen grundsätzlich zu einer Organspende bereit, aber nur ein
Viertel bekräftigt das offiziell mit einem Spenderausweis. Kritiker
des Gesetzes hatten ihre Ablehnung unter anderem damit begründet,
dass die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die alle
Organspenden koordiniert, nicht sauber arbeite. Der Vorwurf der
Vettern- und Misswirtschaft stand im Raum. Er ist bis heute nicht
restlos aufgeklärt. Der Fall des Göttinger Arztes und dessen
möglichen Mittäter ist von anderer Qualität. Aber er bestätigt
leider, dass die Medizin unglaublich viel Humanes leistet, aber in
vielen Bereichen längst auch zu einem knallharten Geschäft geworden
ist. Betrug und Korruption nicht ausgeschlossen. Mit der Kontrolle
ist es nämlich nicht so weit her, wie sie gerade in der besonders
sensiblen Transplantationsmedizin nötig ist. Dass der Göttinger
Transplanteur überhaupt noch operieren durfte, ist allein einer
verantwortungslosen Nachsicht geschuldet: Er war schon 2005
aufgefallen, weil er eine Leber nicht – wie protokolliert – in
Regensburg, sondern in Jordanien transplantiert hatte. Der Skandal,
so ist zu befürchten, wird nicht allein die Bereitschaft zur
Organspende mindern. Er wird Deutschland noch weiter von der Lösung
entfernen, die am meisten Leben rettet: die Widerspruchslösung. Sie
erlaubt eine Organentnahme, wenn sie nicht ausdrücklich abgelehnt
wird. Belgier, Österreicher und Spanier haben sie akzeptiert, um
Spenderorgane wird dort weniger hart gerungen. Eine solche Regelung
auch in Deutschland wäre der wohl sicherste Schutz vor Manipulationen
wie in Göttingen.
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