Sie hatten eine Chance. Sie haben sie kläglich
vergeben. Drei Jahre nach ihrem Triumph und ein Jahr vor der nächsten
Bundestagswahl ist es – soweit im Politikgeschäft verlässliche
Prognosen möglich sind – ziemlich aussichtslos, dass sich
Schwarz-Gelb noch einmal berappelt. Am vergangenen Freitag war im
Bundesrat einmal mehr die Wende hin zu einer neuen Koalitionsfärbung
zu beobachten. Da stimmten gleich zwei CDU-geführte Länder –
Sachsen-Anhalt und das Saarland – zusammen mit der SPD für die
gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten. Und als sei das nicht
schon neuer Sprengstoff genug, legte Thüringens Ministerpräsidentin
Christine Lieberknecht (CDU) noch nach, indem sie ankündigte, mit der
SPD für die Einführung eines Mindestlohns zu stimmen. Dem will – wie
schon bei der Frauenquote – die CDU-Ministerpräsidentin von der Saar,
Annegret Kramp- Karrenbauer, folgen. Gleich drei führende
Christdemokraten sind damit demonstrativ von der Berliner Koalition
abgerückt und haben sich auf die Seite des politischen Gegners
geschlagen. Ein in diesem Ausmaß einmaliger Vorgang. Und damit ein
Signal.
Dass Landesregierungen aus Landesinteressen im Bundesrat gegen die
Parteilinie stimmen, kommt häufiger vor. So rettete das SPD-regierte
Bremen einst Helmut Kohl im Bundesrat und durfte als „Dankeschön“
Fregatten bauen. Eberhard Diepgen (CDU) machte Gerhard Schröder zum
Sieger im Steuerstreit mit der Union und bekam dafür
D-Mark-Subventionen in Milliardenhöhe für Berlin – auch für die
Sanierung des Olympiastadions. Die aktuellen Fälle liegen jedoch
anders: Da sind keine Landesinteressen ausschlaggebend, sondern
politische Überzeugungen.
Und diese künden davon, dass allem offiziellen Getöse zum Trotz
der Graben zwischen CDU und SPD immer flacher wird. Dafür sorgt
besonders die Union, weil sie eine nach der anderen ihrer bislang
hartnäckig verteidigten Positionen räumt. Mal plötzlich wie bei der
Energiewende oder der Wehrpflicht, mal in Trippelschritten wie beim
Mindestlohn und der Frauenquote. Man kann das als opportunistisch
oder orientierungslos kritisieren, wie es die kleine Schar der
Konservativen in der Union tut. Aber mit der reinen Lehre sind
allenfalls noch Minderheiten in unserer sich so rasant verändernden
Gesellschaft zu überzeugen. Das zwingt vor allem die potenziellen
Kanzlerparteien CDU und SPD zum Über- und Neudenken alter Positionen.
Beide Parteien nähern sich dabei inhaltlich überzeugt oder taktierend
einander an. Ganz im Sinne der Wähler, denn jeder zweite wünscht sich
eine große Koalition. Am schlimmsten unter die Räder gerät im Wandel
der gesellschaftspolitischen Vorstellungen die FDP. Ihre Themen
erreichen nicht einmal mehr fünf Prozent der Wähler.
Die CDU setzt deshalb auf eine große Koalition. Nicht aus purem
Machtkalkül. Auch weil sie und die SPD sich inhaltlich zumindest
nicht ferner sind als Union und Liberale in den letzten drei Jahren.
Das kostet beide Profil, kommt aber dem Wählerwillen entgegen. Und
der ist bekanntlich alle vier Jahre einmal König.
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