BERLINER MORGENPOST: Eltern werden wie Idioten behandelt

Nun hat die Bundesregierung das unselige
Betreuungsgeld also tatsächlich auf den Weg gebracht. Schwarz-Gelb
beschließt damit eine neue familienpolitische Leistung, die es selbst
nicht für sinnvoll hält. Der CSU ist es nicht gelungen, die
Öffentlichkeit oder ihre Koalitionspartner vom Sinn des
Betreuungsgelds zu überzeugen. Horst Seehofer hat es Angela Merkel am
Ende schlicht abgepresst. Selten hat eine Opposition eine solche
Vorlage bekommen, die Konzeptionslosigkeit und Uneinigkeit eine
Regierung vorzuführen. Aber SPD und Grüne haben ihre Chance nicht
genutzt – im Gegenteil. Die Einwände gegen das Betreuungsgeld sind
von berechtigter Kritik an staatlichem Handeln abgerutscht in eine
maßlose Polemik gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe. Es ging Rot-Grün
nicht darum, den Staat zu kritisieren, weil er jetzt auch Eltern
fördert, die ihre Kleinkinder selbst betreuen. Es ging vielmehr gegen
die Eltern selbst. Wer zwei oder drei Jahre zu Hause bleibe, lebe ein
veraltetes Rollenbild, urteilte die Linke. Eltern seien nicht in der
Lage, ihre Kinder so zu fördern wie Angestellte, suggerierten im
Bundestag Sozialdemokraten allen Ernstes – während die
Arbeitsministerin vorschlägt, Tausende Hartz-IV-Empfänger im
Schnellkurs zu Erziehern umzuschulen. Der Unsinn, das Betreuungsgeld
bremse den Kita-Ausbau, wurde wieder und wieder postuliert. Auch wir,
die Medien, ruinierten den Diskurs: Mit dem bösen Wort von der
„Herdprämie“ wurden Mütter regelrecht zur Minna gemacht. So
verächtlich hat im politisch korrekten Deutschland schon lange
niemand mehr über Frauen gesprochen. Der grüne Fraktionsvorsitzende
Jürgen Trittin hat es bis heute nicht für nötig befunden, seine
Sprache in dieser Frage auf ein zwischen Demokraten annehmbares
Niveau zu heben. Er twitterte noch in dieser Woche von der – immerhin
zum Unwort des Jahres gekürten – „Herdprämie“. Noch perfider ging
freilich seine Kollegin Renate Künast vor. Sie kündigte an, für das
Betreuungsgeld gelte – anders als für alle vergleichbaren staatlichen
Leistungen – kein „Vertrauensschutz“. Es werde im Falle eines
rot-grünen Wahlsiegs im kommenden Jahr sofort abgeschafft. Damit wird
ausgerechnet jenen jungen Eltern, die jeden Euro dreimal umdrehen
müssen, die Möglichkeit genommen, die Zeit mit ihrem Kind zu planen.
Eine solche rücksichtslose Ankündigung ist keine Politik mehr,
sondern Ideologie. Schwarz-Gelb gibt bei der Einführung des
Betreuungsgelds ein schwaches Bild ab, aber noch mehr haben wir über
die Opposition gelernt: Die selbstbestimmte Auswahl eines
Lebensentwurfs aus mehreren guten Möglichkeiten wird immer noch zur
Glaubensfrage pervertiert. Eltern werden immer noch gegen Eltern
ausgespielt. Man mag es kaum glauben: Auch im Jahr 2012 scheint
Rot-Grün immer noch nicht seinen Frieden damit gemacht zu haben,

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