BERLINER MORGENPOST: Kein Grundrecht auf Wuchtmobilität Hajo Schumacher über den Wahnsinn hoch motorisierter Autos in Zeiten der Nachhaltigkeit

Der Krieg beginnt spätestens um halb sieben, am
Wochenende etwas später. Wo früher einmal Golf, Kadett und
Mercedes-Kombi fuhren, rollen nun zwei Tonnen schwere Panzer in
furchterregendem Schwarz mit verspiegelten Scheiben, wie früher meist
mit nur einem Passagier. Leider passen zwei dieser Monsterkarren kaum
gleichzeitig durch eine Altbaustraße in Schöneberg oder Friedenau.
Statt Verkehrsfluss also jeden Morgen Stop-and-go, oft und gern
begleitet vom beherzten Hupen der Panzerfahrer; dazwischen
verängstigte Kinder, die mit dem Rad zur Schule wollen. Das Auto ist
zur martialischen Metapher geworden: Platz da, hier ist die
Motormacht. Unaufhaltsam schreitet die Kabulisierung der Berliner
Straßen voran. Man muss nicht erst den Psychologen fragen, was in
Menschen vorgeht, die unglaublich viel schwarzen, schweren Hohlraum
durch die Gegend bewegen, sondern einfach nur die Vernunft: Hier
werden Ressourcen verballert, als gäbe es kein Morgen. Das größte
Problem aber ist der Dominoeffekt. Denn Normalwagenfahrer fürchten zu
Recht ihre sinkenden Chancen bei einem Unfall. Also wird
zurückgerüstet. Muss erst jeder der 3,5 Millionen Berliner 15
Kubikmeter blitzblinkenden Irrsinn durch die Stadt pilotieren, damit
klar wird, welch unfassbarer Unsinn hier stattfindet? Im einen Teil
der Stadt ringen Politiker, Industrie und Umweltschützer um ein paar
Zehntelprozent Biospritbeimischung, um Milligramm Emissionen und
energiebewusstes Verhalten als erste Bürgerpflicht; in allen anderen
Teilen der Stadt ist Verschwenden Trumpf. Wie will man Kindern
Energiewende und Öko-Wohlverhalten nahebringen, wenn die Eltern jeden
Morgen ein gegenteiliges Werte-Paket aufröhren lassen? Das
Schlimmste: Was so dynamisch daherkommt, beweist, dass Fortschritt
auch rückwärts ablaufen kann, wenn Größe mit Güte verwechselt wird.
Es ist wie mit den Berliner Airports. Ein schneller Flughafen wie
Tegel weicht einem trägen Shoppingcenter mit nachgeordnetem
Flugbetrieb. Wo ist der Fortschritt, wenn Autos immer länger, breiter
und schwerer werden, wenn Straßen, Parkplätze und vor allem
Parkhäuser verstopft werden von sonnenbebrillten Steuer-Amateuren,
die mindestens sieben Anläufe brauchen, um das Schiff aus der Box zu
manövrieren? Gern steht die Familie auch ums Heck versammelt, um zu
bestaunen, wie sich die Kofferraumklappe elektrisch hebt und senkt.
Ein Wunderwerk deutscher Ingenieurkunst. Leider braucht die Möhre
immer noch so viel Benzin wie ein Chevy von 1970, weil tonnenweise
nutzlose Elektromotoren plus Riesenbatterie durch die Gegend
geschaukelt werden. Aber über den Spritpreis mosern. Wenn der
Verbraucher derlei Innovationen nachfragt – kein Problem. Aber es ist
das gute Recht der Gemeinschaft, für den anschwellenden Irrsinn auf
vier Rädern ordentlich zu kassieren. Her mit der Panzerplakette, Maut
für alle Pkws, die auf normalen Straßen nicht mehr aneinander
vorbeikommen. Es gibt kein Grundrecht auf Wuchtmobilität.

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