Nur mal angenommen, die Dissertation eines
nachrangigen Kabinettsmitglieds, Dirk Niebel etwa oder Ilse Aigner,
wiese die gleichen Mängel auf wie die Doktorarbeit von Karl-Theodor
zu Guttenberg – was wäre geschehen? Vermutlich nicht viel. Eine
Meldung hier und da, ein paar höhnische Bemerkungen. Und fertig. Aber
der Freiherr ist nicht irgendein Minister. Er hat einen rasanten
Aufstieg hingelegt wie kein anderer bundesdeutscher Politiker vor
ihm. Er genießt außergewöhnliche Beliebtheit und verfügt über die
rare Ressource Charisma. Seine Herkunft verheißt Würde und
Integrität, er predigt Anstand, das Tadellose bildet den Kern dieses
Politikers. Allenfalls Ursula von der Leyen gehört noch zur Spezies
jener traditionsgeprägten Ehrenpolitiker, die Verantwortung gleichsam
in der DNA tragen und sich damit vom gut- bis kleinbürgerlichen
Volksvertreter abheben oder abgehoben werden. Der lückenlose
Nachweis, dass Guttenberg bei seiner Arbeit nicht nur ein paar
Anführungsstriche vergaß, sondern offenbar – Eile, Vorsatz oder
beides – ganze Passagen kopierte, trifft die vermeintliche Integrität
jener Lichtgestalt daher umso härter und wirft Fragen auf, die der
Beschuldigte sich selbst, seiner Familie, der wissenschaftlichen
Community oder der Öffentlichkeit beantworten muss. Wie kann es
beispielsweise sein, dass ein karrierehungriger Politiker
ausgerechnet Teile der Einleitung aus der FAZ übernimmt? Die
einführende Darlegung des Forschungsgegenstandes am Anfang sowie die
Zusammenfassung der Ergebnisse am Ende bergen das Wesentliche jeder
wissenschaftlichen Arbeit. Seltsam, dass ausgerechnet der
wortmächtige Gelegenheitsjournalist Guttenberg in seiner Biografie
eine derart offenkundige Schwachstelle schuf. Das Diss-Desaster fügt
sich in eine Reihe von Problemen, von denen die „Gorch Fock“ noch das
geringste ist, auch wenn seine Autorität bei der Truppe gelitten hat.
Politisch bedrohlicher ist die Bundeswehr-Reform, die der Minister
mit Sparversprechen begann, um gleich darauf mehr Geld zu fordern.
Diese Strategie erregte den Zorn der Kabinettskollegen, die das sture
Nein von Kassenwart Schäuble ausdrücklich und ausnahmsweise
begrüßten. Nun lassen sich Bundeswehr-Tragödien und
Haushaltszankereien wegargumentieren. Der Plagiatsvorwurf indessen
trifft den Aufsteiger erstmals frontal. Niemand anders ist
verantwortlich zu machen. Ein Rauswurf als Krisenreaktion geht nicht,
es sei denn, der Verteidigungsminister träte freiwillig zurück, etwa
um die vermurkste Arbeit noch mal durchzugehen. Wird er aber nicht.
Guttenberg ist nicht Käßmann. Im Widerstreit von Ehre und Aussitzen
entscheidet auch ein Edelmann pragmatisch, auch wenn ein Rücktritt
ihn zum unangreifbaren Heiligen machen würde. Fraglich bleibt, ob die
Deutschen ihrem Lieblingspolitiker nachhaltig grollen oder die Causa
Doktorarbeit als eine Art Jugendsünde verzeihen. Am Ende jedenfalls
steht die wohltuende Erkenntnis, dass es Märchenprinzen ebenso wenig
gibt wie lebenslange Überflieger. Übers Wasser laufen konnte eben nur
einer. Guttenberg kann nicht mal unauffällig schummeln.
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