Es gibt politische Entscheidungen, die sich der
alltäglichen Logik von Richtig und Falsch, selbst von Gut und Böse
entziehen. Einsätze der Bundeswehr in Kriegsgebieten sind so ein
Fall, auch die Lieferung von deutschen Panzern in Krisengebiete. Fast
immer geht es bei diesen Entscheidungen um Leben und Tod – aber bei
keiner Frage so unmittelbar wie bei der PID-Abstimmung im deutschen
Bundestag. Man kann den Volksvertretern viel vorwerfen, aber bestimmt
nicht, dass sie es sich bei dieser Diskussion zu leicht gemacht
hätten. Manche Abgeordnete führten persönliche Schicksale an, andere
verwiesen auf rote Linien der Ethik, die auf keinen Fall zu
überschreiten seien. Die PID-Debatte schwingt zwischen ganz konkreten
Notlagen und den großen Fragen unseres Wertesystems. Solche
gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen, zu denen jeder Bürger
eine Haltung hat oder haben sollte, geben einem Gemeinwesen die
Chance, Positionen auszutauschen, eigene und andere Werte zu prüfen
und verlangen nach sorgfältigem Abwägen. Wegducken, Enthalten zählt
nicht. In Fragen nach dem Letzten muss jeder sein eigenes Gewissen
befragen und dann – entscheiden, mit Restrisiko. Gerade in
Deutschland reichen die grundsätzlichen Erwägungen sehr viel weiter
als in anderen Ländern. Zuletzt in der Sarrazin-Debatte wurde wieder
deutlich, wie historisch kontaminiert der Begriff „Gen“ bis heute
ist. Allein der Gedanke, dass in deutschen Labors nach wertem und
unwertem Leben selektiert wird, ist – aus guten Gründen – für viele
unerträglich. Andererseits ist es schon jetzt Alltag und legal, dass
werdendes Leben abgetrieben wird, wenn eine Untersuchung den Verdacht
auf massive Schädigungen des Embryos ergibt. Zur Realität gehört
zugleich, dass Eltern, die eine PID wollen, diese auch bekommen,
notfalls im Ausland, etwa in Belgien, wo die Gesetze lockerer sind.
Und schließlich ging es bei der Abstimmung im Bundestag auch um
strategisch politische Erwägungen. Die Kanzlerin hatte sich früh und
klar auf ein Verbot festgelegt; manche sagen, um ihr konservatives
Profil in einer verunsicherten Christenpartei zu schärfen. In dieser
Gemengelage – mit vielen guten, berechtigten, bedenkenswerten und
bisweilen durchsichtigen Argumenten – hat der Bundestag das einzig
Richtige getan: die Abstimmung freigegeben. Früh war klar, dass keine
Fraktion eine auch nur halbwegs einheitliche Linie verfolgt. Von
links bis Schwarz, von Grün bis Gelb – in jedem Lager fanden sich
Befürworter, Gegner und Kompromissler. Diese Abstimmung war wohl die
dramatischste des Jahres, keiner der Parlamentarier hat es sich
leicht gemacht, die Abgeordneten verzichteten darauf, den Konflikt
durchsichtig parteipolitisch auszuschlachten. Dass der Bundestag nach
einer breiten öffentlichen und internen Debatte entschieden hat, PID
zu erlauben, gilt es zu respektieren. Dass das Land fortan von
Designer-Babys geprägt wird, steht nicht zu befürchten. Und manchen
Eltern wird aus einer schwierigen Lage geholfen. Auch das ist Ethik.
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