BERLINER MORGENPOST: Maßstäbe gelten auch für Medien – Leitartikel von Hajo Schumacher

Ein kleines Stück Papier für ein Unternehmen, aber
ein Beben für eine ganze Branche. Nett, aber bestimmt teilt die
„Abteilung Kundenbindung“ der Deutschen Bahn den Inhabern einer
Journalisten-Bahncard mit, dass der Rabatt von 50 Prozent zum 15.
April diesen Jahres auslaufe. Begründung: Die „gesellschaftliche
Sicht der Dinge wandelt sich.“ Stimmt. Es wird genauer hingeguckt, in
Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Daher ist es konsequent, eine
Vorzugsbehandlung abzuschaffen, über die viele Kollegen, auch der
Autor dieser Zeilen, nicht viel nachgedacht haben, sondern sie als
selbstverständlich hingenommen haben. Noch vor ein, zwei Jahren hätte
sich kaum ein Unternehmen getraut, ausgerechnet den vermeintlich
mächtigen Medienvertretern einfach ein Privileg zu streichen. Die 50-
oder 100-Prozent-Card für Flüge, der Discount beim Autokauf, Ferien
zum Schnäppchenpreis oder günstige Handytarife – auf speziellen
Webseiten konnten Inhaber eines Presseausweises das Leben zum
Sonderpreis bekommen. Warum eigentlich? Was ist los, wenn
Wirtschaftsvertreter Fußballtickets annehmen oder Mitarbeiter des
öffentlichen Dienstes eine Flasche Wein? Wenn aber die auch medial
befeuerte Aufregung über Vorteile derart groß ist, dann sollten sich
konsequenterweise alle Berufsgruppen zu Zurückhaltung verpflichten.
Just, da der ehemalige Bundespräsident eine Hausdurchsuchung wegen
vermuteter Vorteilsannahme über sich ergehen lassen muss, zwingt
ausgerechnet die von Journalisten gern beschriebene Bahn der
Medienwelt eine Debatte auf, die bislang lieber nicht geführt wurde,
aber längst überfällig ist: Wenn die erste bis dritte Gewalt im
Staat, zu Recht, unter verschärften Sauberkeitsregeln zu arbeiten
haben, dann natürlich auch die vierte. Obgleich viele Medien
privatwirtschaftlich organisiert sind, erfüllen sie eine öffentliche
Aufgabe: Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet stellen rund um die
Uhr den Marktplatz Öffentlichkeit her, wo Themen verhandelt,
Missstände thematisiert, Verfehlungen aufgedeckt werden. Für die
Kontrolleure der Macht muss, wie für die Mächtigen selbst, der
Imperativ der Unabhängigkeit gelten, und somit die Pflicht zur
Distanz. „Schon der Anschein“ sei zu vermeiden, so lautet die
Forderung an Politiker. Manche Sender und Verlage, die Axel Springer
AG bereits seit dem Jahr 2003, lehnen daher mittlerweile Einladungen
ab und haben Leitlinien für die journalistische Arbeit entwickelt. Es
wäre konsequent, wenn sich Medienvertreter denselben Maßstäben
unterwerfen würden, die sie von den anderen Akteuren des
demokratischen Systems verlangen. Die Debatte darüber beginnt.
Selbstkritik hat noch nie geschadet.

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