BERLINER MORGENPOST: Später Beschluss mit vielen Risiken/Joachim Fahrun über das Machtwort von Klaus Wowereit zur Zukunft der Berliner S-Bahn

Klaus Wowereit demonstriert Stärke. Seine Partei,
die SPD, kann fordern, was sie will. Die Genossen mögen seinen
Getreuen, Stadtentwicklungssenator Michael Müller, als Landeschef
abwählen. Am Ende entscheidet Wowereit, was in Berlin läuft und was
nicht. So wird kaum zehn Tage nach dem Führungswechsel in der
Berliner SPD und just vor der Sommerpause im Senat eine Entscheidung
gefällt, zu der Wowereit über Jahre offenbar nicht die Kraft hatte:
Für den Berliner S-Bahn-Ring und die Linien Richtung Südosten wird
der künftige Betreiber für die Zeit ab 2017 per Ausschreibung
ermittelt. Im Grundsatz ist gegen diesen Beschluss nichts
einzuwenden. Im Wettbewerb zu prüfen, ob es Unternehmen besser können
als die Deutsche Bahn mit ihrer Tochtergesellschaft S-Bahn ist nach
den leidvollen Erfahrungen der Berliner Kunden folgerichtig. Wenn der
Konkurrenzdruck dazu führt, dass die Deutsche Bahn künftig ein
stabiles und kostengünstiges Angebot unterbreitet, ist das ebenfalls
ein gutes Ergebnis einer Ausschreibung. Und doch: Die Entscheidung
kommt viel zu spät. Sehenden Auges hat die seit Jahren in Berlin
regierende SPD zugesehen, wie die Zeit verstrichen ist, um
rechtzeitig zum Ablauf des Verkehrsvertrages 2017 neue,
leistungsfähige S-Bahnzüge auf den Schienen zu haben. Jetzt muss mit
der Deutschen Bahn ein Zwischenvertrag gemacht werden. Das
Unternehmen wird sich ihr Entgegenkommen und den weiteren Einsatz der
störanfälligen Alt-Fahrzeuge teuer bezahlen lassen. Aber in Berlin
mit seinem einzigartigen S-Bahn-System dauert es auch nach
optimistischen Kalkulationen eben fast zehn Jahre, bis 190 S-Bahnzüge
rollen. Warum der Senat zwei Jahre ins Land ziehen lässt, bis ein
Sieger der Ausschreibung die neuen Wagen bestellen muss, ist nicht
einzusehen. Die Pläne, als Stadt in Vorleistung zu gehen, einen
kommunalen Fuhrpark zu ordern und ihn dann an die Betreiber zu
übergeben, wurden aus kaum nachvollziehbaren Gründen fallen gelassen.
Damit ist das Risiko für weiteres S-Bahn-Chaos deutlich gestiegen.
Und wenn die privatisierungskritische SPD 2014 im Parlament „Nein“
sagt und den Vertrag mit dem ausgewählten Bewerber ablehnt, wäre die
dringend notwendige Erneuerung des Fuhrparks weiter auf lange Zeit
verschoben. Die BVG, die als letzte Option einspringen müsste, wäre
dann ebenso wenig wie derzeit fit für den S-Bahn-Betrieb. Um
politischen Ärger zu vermeiden, müsste also die Deutsche Bahn die
Ausschreibung gewinnen. Das wollen fast alle in der SPD. Wer jedoch
eine Ausschreibung so strickt, dass nur ein genehmer Bieter gewinnen
kann, muss mit Klagen der unterlegenen Wettbewerber rechnen. Das kann
zu weiteren Verzögerungen führen. Und die Berliner stehen dann erneut
im Regen – und warten auf die wieder einmal ausgefallene S-Bahn.

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