BERLINER MORGENPOST: Statt zu sparen, wird geschachert – Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Deutschland als Europas Spar-Musterknabe? Schön
wär–s. Da können die Griechen, Briten oder Spanier unsere Kanzlerin
als noch so knauserig diffamieren: Wir haben 2,04 Billionen Euro
Miese auf dem Gesamtstaatskonto. Und wie sehr Anspruch und
Wirklichkeit auseinanderklaffen, wird noch dadurch unterstrichen,
dass der Schuldenstand trotz Rekord-Steuereinnahmen kontinuierlich
weiter steigt; allein im ersten Quartal dieses Jahres um 42,3
Milliarden Euro, verglichen mit 2011. Es reicht also nicht,
Haushaltskonsolidierung bei den anderen einzufordern: Deutschland
muss mit besserem Beispiel als bislang vorangehen, wenn es
glaubwürdig bleiben will. Die Einführung der Schuldenbremse auf
nationaler Ebene war ein ehrlicher Schritt in diese Richtung. Das
Einfordern einer strafferen Haushaltsdisziplin auch auf europäischer
Ebene in Form des Fiskalpakts ist eine konsequente Ergänzung. Aber
als es jetzt darum ging, die in Bundestag und Bundesrat notwendige
Zweidrittelmehrheit zur Verabschiedung der „europäischen
Schuldenbremse“ zu sichern, musste die Bundesregierung erst mit SPD
und Grünen, dann mit den Länderchefs feilschen wie auf einem Basar.
Das gilt insbesondere für die zweite Runde mit den
Ministerpräsidenten. In ihr ließen sich die Provinzfürsten –
unabhängig ob aus dem schwarzen, roten oder grünen Lager – ihre
Zustimmung zu Höchstpreisen abkaufen. Dabei ähnelte ihre
erpresserische Methode sehr den Verhandlungen auf der europäischen
Bühne, die sie selbst doch so gern, und oft auch berechtigt,
kritisieren. Was etwa haben die dem Bund abgetrotzten
Milliardenbeträge für den Bau von Kindertagesstätten, die
Eingliederung von Behinderten, den öffentlichen Nahverkehr oder die
Grundsicherung im Alter mit der europäischen Schuldenpolitik zu tun?
Hier haben die Länder die vermeintliche Gunst der Stunde schamlos für
ihre Interessen ausgenutzt. Und die Bundesregierung in die Rolle des
Zahlmeisters gezwungen, dessen Kasse leer und dessen Schuldenstand
bereits astronomisch hoch ist. Konsequenz: Der Bund muss sich weiter
verschulden. Dabei handelt es sich bei der nationalen Schuldenbremse
wie beim Fiskalpakt um überfällige Sparvorgaben als wichtige
Bausteine zur Rettung der gemeinsamen Währung. Dazu bekennen sich in
Sonntagsreden auch die Länderchefs, schachern aber zusätzliche
Zahlungen für sich heraus, wenn es konkret wird. Als hätten sie von
den Griechen gelernt. Die Zustimmung zum Fiskalpakt seitens der
Länder als Hebel zu missbrauchen, um die Finanzbeziehungen zwischen
ihnen und dem Bund zu ihren Gunsten zu verändern und den klammen
Kommunen gleich auch noch finanzielle Entlastung zu verschaffen,
verschärft die finanzpolitische Lage, statt sie zu entspannen. Der
deutsche Schuldenstand ist eben nicht so, dass man leichtfertig noch
etwas drauf packen dürfte. Und nicht allein die Griechen schauen
aufmerksam darauf, wie sich Angela Merkel ihre nationale Mehrheit
erkaufen muss. Hoffend, die Eiserne Kanzlerin werde auch ihnen
gegenüber noch weicher.

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