Was ist bloß los da oben, im Norden, in
Schleswig-Holstein? Ein so schönes Land und so schlechte Politiker.
Seit Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg 1982 in Kiel abmusterte,
um beim neuen Bundeskanzler Helmut Kohl als Finanzminister
anzuheuern, läuft das Regierungsschiff regelmäßig schwer aus dem
Ruder. Erst die bis heute nicht aufgeklärte Barschel-Affäre, in der
es um Bespitzelung und am Ende um Barschels Tod ging. Dann musste
auch Nachfolger Björn Engholm (SPD) frühzeitig von Bord gehen, weil
er mehr über Waterkantgate wusste, als er preisgab. Seine
Nachfolgerin Heide Simonis (SPD) wiederum wurde von einem bis heute
nicht enttarnten „Heidemörder“ erlegt. Weil der ihr die entscheidende
Stimme verweigerte, wurde Peter Harry Carstensen (CDU) ziemlich
überraschend Regierungschef an der Förde. Der wollte endlich mal nach
mehr als 30 Jahren das Kommando regulär weitergeben. Und nun das
wieder: Der von ihm auserkorene Nachfolger Christian von Boetticher
(40) trieb–s mit einer 16-Jährigen. Das ist nicht strafbar, aber
moralisch höchst zweifelhaft. Zumal in einer Partei, die zwar längst
nicht mehr richtig konservativ ist. Die sich aber ein paar
traditionelle Tugenden wie Anstand und Verlässlichkeit bewahren muss,
wenn sie vor sich und den Wählern glaubwürdig bleiben will. Mit einem
Spitzenkandidaten Boetticher – der auch aus anderen Gründen in der
Partei nicht unumstritten ist – war das nicht mehr möglich. Sein
Rücktritt war tatsächlich alternativlos. Wer immer jetzt die
Kommandobrücke übernimmt, wird es schwer haben, einen sicheren
(Regierungs-)Hafen zu erreichen: Er ist nur zweite Wahl, die CDU
liegt in Umfragen zwar knapp vor der SPD, die aber hat mit den Grünen
schon ein ziemlich sicheres Beiboot, der bisherige Koalitionspartner
FDP dagegen ist auch im Norden am „Absaufen“. Schleswig-Holstein ist
nicht nur meteorologisch ein stürmisches Land zwischen den Meeren,
auch politisch. Schon zu Zeiten Gerhard Stoltenbergs war es ein
verbreiteter Irrglaube, das Land sei eine konservative Hochburg.
Dessen Wahlsiege waren meist ganz knappe. Dass es im hohen Norden
politisch immer spannend bis hin zu dramatisch zugeht, kann auch mit
der mentalen Dreiteilung des Menschenschlags zwischen Ost- und
Nordsee zu tun haben. Da sind einmal die Friesen, vor allem
selbstbewusst, bisweilen aber auch trickreich und ein bisschen
verschlagen. Der Holsteiner dagegen ist eher behäbig, er kann auch
ganz schön bräsig sein. Und dann sind da noch die großstadtgeprägten,
mehr zur Weltoffenheit neigenden Menschen im nördlichen Hamburger
Umland. Diese drei Mentalitäten muss eine Partei inhaltlich und
menschlich auf einen Nenner bringen, will sie reüssieren. Das ist,
siehe den Anfang dieses Kommentars, offensichtlich sehr viel
schwieriger als von außen nachvollziehbar. Es ist ja auch kein
Zufall, dass sich die sachlich wie personell zerstrittene SPD mit
Torsten Albig ihren Spitzenkandidaten für die Wahl erstmals von
jenseits der Landesgrenze geholt hat. Ein Gutes hat die Politik dort
oben bestimmt: Es wird nie langweilig.
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