Berliner Zeitung: Kommentar zum Straßburger Inzesturteil

Alle deutschen Gerichte – zuletzt das
Bundesverfassungsgericht – haben die Strafbarkeit des
Geschwisterinzests ganz selbstverständlich bejaht, aber nicht eines
hat das Rechtsgut genau benannt, das mit dem strafbewehrten Verbot
geschützt werden soll. Doch als Ultima Ratio, als letztes Mittel darf
sich der Gesetzgeber des Strafrechts nur bedienen, wenn er damit
einen elementaren Wert schützen und ein für die Gemeinschaft
inakzeptables Verhalten abwehren will. Darüber schweigen die
deutschen Gerichte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
hat in seiner gestern verkündeten Entscheidung das deutsche Verbot
des Geschwisterinzests zwar bestätigt, aber endlich auch das
Rechtsgut, den Gemeinschaftswert genau bezeichnet, der damit
verteidigt werden soll: die Moral. Sollte es sich dabei um das gute,
alte Volksempfinden handeln, hat es im Strafrecht nichts zu suchen.

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