DER STANDARD-Kommentar: „Die Fehleinschätzungen der ÖVP“ von Alexandra Föderl-Schmid

Wer das Bildungsvolksbegehren nicht unterschrieben
hat, der hat für die ÖVP gestimmt. Das sind 94 Prozent.
Wer das nicht so sieht, sollte sich bei ÖVP-Generalsekretär Hannes
Rauch beschweren. Denn der Volkspartei-Funktionär verwechselt das
Volksbegehren mit einer Bundeswahl: „Das vorliegende Endergebnis des
Bildungsvolksbegehrens zeigt, dass die Mehrheit in Österreich weder
die Gesamtschule noch die verpflichtende Ganztagesschule will. Damit
bestätigt sich die Position der ÖVP. Unsere Erfolge können sich sehen
lassen.“ Daraus folgt für Rauch: „Damit ist die Gesamtschule vom
Tisch.“ Womit sich aus ÖVP-Sicht sämtliche Reformdiskussionen
erübrigt haben.
Da die Volkspartei als Organisation das Bildungsvolksbegehren
bekanntlich nicht unterstützt hat, den Ausgang aber als Erfolg für
sich reklamiert, muss sie sich auch andere Rückschlüsse zurechnen
lassen. Die ÖVP ist zu einer Landpartei geworden und spielt im
urbanen Bereich keine Rolle mehr. Das hat sich bei der Wien-Wahl am
10._10._2010 mit dem historisch schlechten Ergebnis von 13,99 Prozent
schon abgezeichnet. Dass die Wiener ÖVP mehr als zwei Monate nach dem
Abgang von Christine Marek noch immer niemanden gefunden hat, der die
Stadt-Schwarzen anführen will, spricht für sich.
Das zeigt auch, wie dünn die Personaldecke bei der ÖVP ist. Nach dem
eher erzwungenen denn freiwilligen Abgang von Bauernbund-Obmann Fritz
Grillitsch ist am Freitag mit Jakob Auer ein Multifunktionär mit
Raiffeisen-Hintergrund gekürt worden, der mit seinen 63 Jahren nicht
als Zukunftsentscheidung gelten kann.
Generalsekretär Rauch hält Tirol, sein Heimatbundesland, für das
eigentliche Österreich. Dort gab es die wenigsten
Unterstützungserklärungen für das Bildungsvolksbegehren. Generell ist
ein dramatisches Stadt-Land-Gefälle zu beobachten. _Sogar zwischen
Landeshauptstädten und kleineren Städten gibt es beträchtliche
Abstände. Dies zeigt den Leidensdruck und den Niveauunterschied im
derzeitigen Schulsystem: In ländlichen Gegenden geht nur ins
Gymnasium, wer ein guter Schüler, eine gute Schülerin ist. Alle
anderen besuchen die Hauptschule. In Städten gehen möglichst alle ins
Gymnasium.
Nach Tirol und der Steiermark wurden in Niederösterreich die
wenigsten Unterschriften gezählt, wobei es im Heimatbundesland von
Bundesparteiobmann Michael Spindelegger noch weniger gewesen wären,
würden die im Speckgürtel um Wien abgegebenen
Unterstützungserklärungen nicht zu Niederösterreich gerechnet.
Im ersten Bezirk in Wien zeigte sich mit einem Ergebnis von mehr als
25 Prozent dagegen ein deutlicher Elitentrend. Die bekanntlich von
der ÖVP dominierten Wiener Bezirke Hietzing und Döbling rangierten am
unteren Ende der Skala wie auch die traditionellen Arbeiterbezirke
Favoriten und Simmering. Der Grund für Letzteres liegt in der
fehlenden Unterstützung durch die SPÖ-Spitze und Bundeskanzler Werner
Faymann.
Keine Einmischung gescheut hat wieder einmal die
Industriellenvereinigung. Wie beim Thema Migration schreckt sie nicht
davor zurück, eine Allianz mit den Grünen einzugehen.
Eine ÖVP, die das Ergebnis eines von ihr nicht mitgetragenen
Bildungsvolksbegehrens als „großen Erfolg“ feiert, wird es schwer
haben, bei echten Bundeswahlen mehr als den dritten Platz zu
erreichen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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