DER STANDARD-Kommentar „Nicht die Justiz lässt sich kaufen“ von Michael Völker

Die Justiz ist politisch. Das war sie immer schon.
Auch Richter und Staatsanwälte sind politisch interessierte und
denkende Menschen. Und das ist gut so. Das heißt aber noch nicht,
dass sich die Justiz für parteipolitische Zwecke missbrauchen lässt.
Die Justiz macht auch Fehler, keine Frage, aber sie ist nicht der
Büttel der Politik.
Es ist die Politik selbst, die derzeit den Eindruck zu erwecken
versucht, dass politischer Einfluss auf die Justiz genommen wird –
und zwar jeweils durch die andere Partei. Es sind die Politiker, die
versuchen die Justiz in den Strudel ihrer Skandale hineinzuziehen, um
damit von sich abzulenken. Es ist aber nicht die Justiz, die
Scheinrechnungen ausstellt, die Inserate keilt, die Schmiergeld
nimmt, die sich finanzieren lässt und dafür Gefälligkeiten erbringt.
Es ist die Politik.
Die Justiz ermittelt, sie verfolgt und sie spricht Recht. Sie tut das
aufgrund von Anzeigen und Verdachtsmomenten, Aussagen und Indizien,
Beweisen und Einvernahmen, in guten Fällen hilft ein Geständnis. Oft
genug – und gerade in den jetzt diskutierten Fällen – wird die Justiz
aufgrund von Anzeigen aus der Politik tätig. Amon, Pilz, Molterer,
Faymann – die Anzeigen hat der politische Gegner verfasst. Wenn sich
daraus ein Substrat, ein begründeter Anfangsverdacht ergibt, wird die
Staatsanwaltschaft dem nachgehen.
Um eine Anklage erheben oder auch das Verfahren einstellen zu können,
muss der Beschuldigte gehört werden. Im Falle eines Abgeordneten muss
er also ausgeliefert, muss seine Immunität aufgehoben werden. Siehe
Werner Amon, ÖVP. Oder Kurt Gartlehner, um auch einen Abgeordneten
aus der SPÖ zu nennen.
Dass derzeit gerade bei der ÖVP eine Häufung an Verdachtsfällen
auftritt, ist nicht die Schuld oder Absicht der Justiz – und hat auch
ganz sicher nichts mit Natascha Kampusch zu tun. Es hat wohl eher mit
der ÖVP zu tun. Dass deren Vertreter jetzt besonders laut „Haltet den
Dieb“ schreien und die Rede von einer Politjustiz führen, ist
schlichtweg ungustiös.
DIE Justiz gibt es aber gar nicht. Es gibt die Richterschaft – die
ist politisch unabhängig, das ist in der Verfassung so verankert. Es
gibt die Staatsanwaltschaft, die ist formell tatsächlich politisch
abhängig, manifest ist das durch das Weisungsrecht des Ressortchefs.
Und es gibt eben diesen Ressortchef, alles andere als unabhängig, von
einer Partei entsandt, aktuell ist es Beatrix Karl von der ÖVP. Dort
passieren die meisten Fehler. Es sind politische wie handwerkliche
Fehler.
Auch die Staatsanwaltschaft macht Fehler. Vieles, aber längst nicht
alles ist mit Personalmangel zu erklären.
Auch bei der Medienarbeit kann nachgebessert werden: Zwischen „Keine
Stellungnahme, weil laufendes Verfahren“ und der Einladung zu einer
öffentlich abgehaltenen Hausdurchsuchung gibt es Spielraum.
Prinzipiell sind aber auch Staatsanwälte dem Recht und der
Objektivität verpflichtet. Es liegt am Einzelnen, Standfestigkeit und
Charakter zu zeigen und sich politischer Manipulation zu widersetzen.
Die meisten sind wohl tatsächlich immun gegen Einflussnahme von
außen. Klar ist aber auch, dass die Staatsanwaltschaft um einiges
glaubwürdiger wäre, wenn sie nicht weisungsgebunden wäre. Auch die
_jetzige Debatte wäre ein guter Anlass, das zu ändern und die
Reputation der Justiz von jener der Politik zu entflechten. Diesen
Ruf hat sich die Justiz nämlich nicht verdient.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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