FZ: Den Rubikonüberschritten Kommentar der Fuldaer Zeitung zum Rücktritt Wulffs

Nun kommt es so, wie es Christian Wulff noch vor
fünf Wochen beim Neujahrsempfang für seine Mitarbeiter prophezeit
hatte: Das „Stahlgewitter“ der Medien sei bald vorbei, in einem Jahr
werde „das alles vergessen“ sein, hat er – so wird es kolportiert –
vor versammelter Mannschaft im Schloss Bellevue über die Vorwürfe
gegen ihn gesagt. Damit wird er jetzt wohl Recht behalten, nur hatte
er zu diesem Zeitpunkt, bereits der Realität entrückt, noch geglaubt,
alles aussitzen zu können. Eine Fehleinschätzung, wie wir seit
gestern wissen. Bundespräsident Wulff ist nach nur 598 Tagen im Amt
Geschichte – und sein unsouveräner Abgang zeigte einmal mehr, dass er
dem Amt nicht gewachsen war. Kein mea culpa, weder ein Wort des
Bedauerns noch der Entschuldigung. Stattdessen die Betonung, stets
aufrichtig gewesen zu sein, und der Hinweis auf Verletzungen durch
die Medien.

Immer aufrichtig? Noch in einer Situation, in der nichts mehr zu
retten ist, verkriecht sich Wulff in der Opferrolle, so wie es von
Anfang an seine Verteidigungsstrategie war. Dabei ist längst
offenkundig, dass Wulff selbst den von ihm zitierten Rubikon
überschritten hat, indem er sich immer wieder auf riskante Handlungen
einließ: von Gratisurlauben bei Unternehmern und dem günstigen
Hauskredit der Kaufmannsgattin bis hin zur dubiosen Einladung in ein
teures Hotel auf Sylt. Wulff hätte vielleicht eine Chance auf eine
Zukunft in Schloss Bellevue gehabt, wenn er mit der Wahrheit offensiv
umgegangen wäre. Er aber flüchtete sich in Ausreden, verschleierte,
ließ seine Anwälte lebensfremde Erklärungen liefern. Die
Staatsanwaltschaft, davon darf man ausgehen, wird es sich – wohl
wissend um die Konsequenzen – nicht leicht gemacht haben, als sie
vorgestern die Aufhebung seiner Immunität beantragte, um endlich
Licht ins Dunkel zu bringen.

Dabei steht außer Frage: Wie für jeden Bürger in unserem Land gilt
auch für Wulff die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen
ist. Aber selbst wenn am Ende zweifelsfrei feststehen sollte, dass
der Niedersachse nicht gegen Gesetze verstoßen hat, bleibt sein
Rücktritt im Sinne der politischen Kultur eine Notwendigkeit. Wulff
hat die Maßstäbe verloren, die für den ersten Mann im Staate gelten
müssen. Er steht für den Typus der „Volksvertreter“, die die
Politikverdrossenheit im Land fördern. Den Medien die Schuld für den
Rücktritt zuschieben zu wollen, ist billig. Sie haben nur ihre
Pflicht getan.

Was sind die Lehren aus dem Desaster? Eine Position wie die des
Bundespräsidenten allein nach machtstrategischen Erwägungen der
Kanzlerin zu besetzen, widerspricht dem Geist des höchsten
Staatsamtes. Insofern ist der Rücktritt Wulffs auch eine Niederlage
für Angela Merkel, die nach Horst Köhler schon mit zwei Präsidenten
gescheitert ist. Das Volk hätte Joachim Gauck gewählt – und das wäre,
auch wegen Wulffs Unvermögen, als Bundespräsident wichtige Akzente zu
setzen, die bessere Wahl gewesen. So ist die Causa Wulff zugleich ein
gutes Argument für eine Direktwahl des Präsidenten. Bernd Loskant

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