Häufig verletzen Staatsanwaltschaften ihre
Ermittlungs- und Verfolgungspflichten, wenn sie Verfahren wegen
tierschutzrechtlicher Verstöße einstellen. Zudem wird sogenannten
Nutztieren in staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheiden eine
Leidensfähigkeit weitestgehend abgesprochen. Zu diesem Ergebnis kommt
Greenpeace in einer Studie, die dem ARD-Politikmagazin „Report Mainz“
exklusiv vorliegt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Mannheimer
Strafrechtsprofessor Jens Bülte, der ca. 40 Einstellungsbescheide von
Staatsanwaltschaften untersucht hat.
Die Umweltorganisation hatte beispielhaft staatsanwaltschaftliche
Ermittlungsverfahren in Tierschutzsachen von einer darauf
spezialisierten Rechtsexpertin untersuchen lassen. Es ging hierbei um
Verfahren, in denen die Ermittler jeweils die Verfahren eingestellt
hatten. Es handelte sich um Betriebe in Gebieten mit intensiver
Tierhaltung. An dieser Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften
äußert die Organisation massive Kritik. Die Staatsanwaltschaften
verletzten ihre Ermittlungs- und Verfolgungspflichten.
Rechtsstaatliche Grundsätze würden umgangen und so tierschutzwidrige
Zustände manifestiert. Greenpeace hatte Einstellungsbescheide
bezüglich angezeigter Rechtsverstöße in mehreren Betrieben in
Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und in Thüringen
prüfen lassen.
Ein Beispiel für die geäußerte Kritik ist ein Einstellungsbescheid
der Staatsanwaltschaft Gera. Es geht dabei um eine große
Ferkelzuchtanlage in Thüringen. Dieser Betrieb war bereits 2013 wegen
Verstößen gegen das Tierschutzgesetz angezeigt worden. Seitdem läuft
ein Ermittlungsverfahren, bisher ohne Ergebnis. Allerdings – der
Betrieb bekam Auflagen, musste die Stallungen teilweise umbauen.
Ende 2017 zeigte Greenpeace den Betreiber erneut wegen Verstößen
gegen das Tierschutzgesetz an. Die Organisation hatte Bildmaterial
vorgelegt, auf dem Sauen in zu engen Kastenständen zu sehen sind. Die
Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren im Mai 2018 ein. Der
Staatsanwalt begründet die Einstellung unter anderem damit, dass der
Unternehmer sich bezüglich der Unrechtmäßigkeit der Haltungsform
geirrt habe. Er habe also nicht gewusst, ob eine solche Haltungsform
zulässig sei oder nicht.
Gegenüber „Report Mainz“ äußerte sich der Betreiber so: Er bemühe
sich stets, die Gesetze einzuhalten. Sollte der Gesetzgeber
Veränderungen wünschen, werde man dem nachkommen. Für Greenpeace ist
die Einstellung des Verfahrens unverständlich. Die Organisation hat
jetzt die Staatsanwaltschaft Gera wegen Untätigkeit angezeigt.
Greenpeace-Sprecherin Stephanie Töwe sieht in diesem und auch in
anderen Fällen ein Muster: „Da zeigt sich ganz eindeutig, dass dieser
Fall in Gera eben kein Einzelfall ist, sondern es ist sehr erkennbar,
dass es bei den Staatsanwaltschaften ein Argumentationsmuster gibt,
was sich ähnelt, und dass ganz oft eben nicht objektiv
weiterermittelt wird, sondern sofort eingestellt wird.“
Greenpeace ließ insgesamt acht Einstellungsbescheide in
Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz
untersuchen. Ein Beispiel: In einem Betrieb wurden Ferkel durch
Aufschlagen auf den Boden getötet. Der Staatsanwalt geht davon aus,
dass die Ferkel durch das Aufschlagen auf den Boden wahrscheinlich
erheblich und langanhaltend litten. Dies sei jedoch durch die Bilder
nicht zweifelsfrei zu belegen. Ob die Tiere ohne vernünftigen Grund
getötet wurden, könne er nicht beurteilen. Auch dieses
Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.
Für den Mannheimer Strafrechtsprofessor Jens Bülte ist diese
Argumentation nicht nachvollziehbar. Er erklärt im Interview mit
„Report Mainz“: „Also zu sagen, ich kann das nicht feststellen, da
macht die Staatsanwaltschaft es sich sehr leicht. Wenn die Tötung des
Tieres zu einem erheblichen Leiden führt – selbst wenn die Tötung als
solche möglicherweise aus einem vernünftigen Grund geschieht – bleibt
das eine Straftat.“
Der Strafrechtler hat unabhängig von der Greenpeace-Studie rund 40
staatsanwaltschaftliche Einstellungsbescheide untersucht. Sein Fazit:
„Es kam in keinem einzigen Fall zu einer Anklage. Von sieben oder
acht Bescheiden kann ich sagen, dass sie grobe juristische Fehler
aufweisen. Ich glaube, dass Straftaten nicht so verfolgt werden, wie
sie verfolgt werden müssten. Die Staatsanwaltschaft hat bei einem
Anfangsverdacht zu ermitteln. Und im Tierschutzstrafrecht wird der
Anfangsverdacht bei Unternehmen viel höher gehängt, die Hürden viel
höher gehängt als in anderen Bereichen der Kriminalität. Und wenn
dann ermittelt wird, dann werden diese Ermittlungen nach meinem
Empfinden, nach meinen Recherchen nicht ernsthaft betrieben in vielen
Fällen.“
Die Hamburger Rechtsanwältin Davina Bruhn ergänzt: „Die Auswertung
der Einstellungsbescheide erweckt den Eindruck, Staatsanwaltschaften
würden nicht als neutraler Vertreter der staatlichen Strafverfolgung
tätig werden, sondern ihre eigenen Wertvorstellungen bzw. (unbewusst)
die wirtschaftlichen Interessen der Agrarlobby über das geltende
Recht stellen.“
Zitate gegen Quellenangabe frei.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an „Report Mainz“, Tel. 06131 929
33351 oder -33352.
Im Rahmen der neuen DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) weisen wir
darauf hin, dass Ihre bei uns gespeicherten Daten ausschließlich dazu
genutzt werden, um Sie mit Presseinformationen des SWR zu versorgen.
Sollten Sie damit nicht einverstanden sein, schicken Sie bitte eine
E-Mail mit dem Vermerk „Ich möchte aus dem Verteiler gelöscht werden“
an presse@swr.de.
Original-Content von: SWR – Das Erste, übermittelt durch news aktuell