Ein Kommentar von Egbert Nießler
Dass die SPD in Bremen die Bürgerschaftswahl gewinnt, gilt seit
Kriegsende quasi als Naturgesetz. Im Bundesrat wird sich nichts
ändern. Das Ergebnis von gestern ist ziemlich genau vorhergesagt
worden. Und dennoch ist der Wahlausgang an der Weser alles andere als
langweilig. Denn im kleinsten Bundesland hat sich ein Trend
verfestigt, der durch den kontinuierlichen Niedergang der im Bund
regierenden Parteien CDU/CSU und FDP, einer ratlos dahindümpelnden
SPD sowie durch den unaufhaltsam erscheinenden Aufstieg der Grünen
gekennzeichnet ist. Das hat zum einen natürlich mit der
Nuklearkatastrophe von Fukushima zu tun – vor allem aber mit dem
Umgang der Parteien damit. Der wiederum sagt viel über
Glaubwürdigkeit und Prinzipientreue aus, Kriterien, die für Wähler
entscheidend sind. Während die Grünen sich in ihrer Überzeugung
bestätigt sehen können und die SPD unter Sigmar Gabriel noch immer
mit Sinn- und Richtungssuche beschäftigt ist, vollführte die Union
eine Kernkraft-Volte, die ihr weder Freund noch Feind so recht
abnehmen wollen. Die FDP sprach in Gestalt des damaligen
Wirtschaftsministers Brüderle ohnehin nur von Taktik – und zahlt
jetzt die Rechnung dafür. Ebenso für uneingelöste Steuerversprechen
und sonstige inhaltliche Schnitzer wie personelle Querelen. Der
versuchte Neuanfang mit Philipp Rösler an der Spitze ist noch zu
jung, als dass er positive Auswirkungen haben könnte. Die FDP bewegt
sich dauerhaft am Rande des Existenzminimums. Im Gegenzug sind die
Grünen auf dem Weg zur zweiten Kraft auch bundesweit. Nicht mehr die
Liberalen sind ihre natürlichen Konkurrenten, sondern SPD und Union.
Das Themenspektrum der Partei ist längst nicht mehr auf
Anti-Atombewegung, Frieden und Ökologie beschränkt, sondern
präsentiert auch Vorschläge zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen,
hält Angebote für beinahe jede Wählerschicht bereit. Ein
Charakteristikum, das die klassischen Volksparteien Union und SPD
bislang für sich als Alleinstellungsmerkmal beanspruchten, aber kaum
noch verteidigen können. Der Höhenflug der Grünen mag – wie der jeder
anderen Partei vor ihnen auch – wieder gebremst werden, wenn in der
praktischen Politik unbequeme Kompromisse geschlossen werden müssen.
Dass die Partei in ihrer Bedeutung aber wieder so weit schrumpft,
dass sie sich an der FDP messen lassen müsste, scheint im Wahljahr
2011 geradezu ausgeschlossen.
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