HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Wulff-Rücktritt

Ein Kommentar von Lars Haider

Endlich ist es vorbei, dieses unwürdige Hin und Her von relevanten
und lächerlichen Enthüllungen, von Peinlichkeiten und
Entschuldigungen, von Schönredner- und Schlimmdebattierereien. Dass
uns die Diskussion um die höchste Position im Staat künftig
(hoffentlich) erspart bleibt, ist die eine gute Nachricht am Ende der
Causa Wulff. Die andere ist, dass demokratische Kontrolle und
rechtsstaatliche Prinzipien in unserem Land tatsächlich ohne Ansehen
der Person greifen – wobei das, wer will, auch doppeldeutig verstehen
kann. Ansonsten gibt es trotz Rücktritts fast nur Verlierer:
Christian Wulff, der vor den Trümmern einer bis dahin eindrucksvollen
politischen Karriere steht. Angela Merkel, die bei der Auswahl ihrer
Bundespräsidenten zweimal kein Glück hatte. Und, vor allem, das Amt
des Bundespräsidenten, einst Garant für Verlässlich- und
Glaubwürdigkeit, letzte und beliebteste politische Instanz. Wenig bis
nichts ist davon übrig, nach zwei Rücktritten in zwei Jahren, und
wahrscheinlich würde sich bei Umfragen eine Mehrheit dafür finden,
auf das Staatsoberhaupt am besten gleich zu verzichten. Das ist
traurig, weil im Bundespräsidenten lange der reine Glaube an die
Politik weiterlebte: Amtsträger wie Richard von Weizsäcker und Roman
Herzog gehören bis heute zu den angesehensten Persönlichkeiten der
Republik. Vorbei. Wenn Angela Merkels CDU und die anderen großen
Parteien im Bundestag heute die Suche nach einem Nachfolger für Wulff
aufnehmen, beginnen sie bei Null. Die Würde des Amtes ist so schwer
beschädigt, dass man sie auf herkömmliche Weise nicht wird
wiederherstellen können. Es braucht einen klaren Schnitt und einen
Kandidaten, der sich maximal von seinem Vorgänger unterscheidet. Das
heißt vor allem: Ins Schloss Bellevue muss diesmal eine Frau
einziehen. Damit werden erstens Vergleiche mit Wulff und Co. per se
schwieriger, erledigt sich zweitens die zuweilen schwierige
Diskussion über die Rolle der First Lady und wird drittens dem Amt
eine echte neue Chance gegeben. Ganz abgesehen davon, dass es
überfällig ist, auch an der Spitze des Landes die Alleinherrschaft
der Männer zu brechen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Und die Ära
Wulff? Sie wird am Ende trotz kurzer Dauer und etlicher Patzer
nachwirken. Das (schlechte) Beispiel des Bundespräsidenten hat
bereits jetzt die politische Kultur verändert. Die Akteure der Macht
sind vorsichtiger geworden, was ihr Zusammenspiel, was Geschenke und
Einladungen, was die Verknüpfung von persönlichen und beruflichen
Kontakten angeht. Die Zeit der roten Teppiche, des Glamours und vor
allem die Zeit der Poser ist sowieso vorbei. Die Zukunft gehört
ordentlichen und sachvertrauten, eher nüchtern wirkenden Politikern
vom Typ eines Thomas de Maizière, eines Wolfgang Schäuble oder eines
Olaf Scholz. Die in diese Reihe passende Frau gilt es jetzt für das
Schloss Bellevue zu finden.

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