Schluss mit dem Abwarten
Raimund Neuß zum Kohlekompromiss
Gut 19 Jahre noch. Vielleicht sogar nur noch 16 Jahre. Dann ist
Schluss mit dem Braunkohleabbau in Deutschland. Ein Kapitel
Industriegeschichte, das das Rheinland und andere Regionen anderthalb
Jahrhunderte lang geprägt hatte, wird geschlossen. Zu spät, sagen
Umweltschützer. Zu früh, sagt der Stromkonzern RWE. Immerhin wickeln
wir hier nicht – wie bei der Steinkohle – eine Branche ab, die nur
mit Subventionen am Leben gehalten wurde, sondern wir geben rentable
Betriebe, ihre Arbeitsplätze und ihre Versorgungsleistung preis. Ist
das wirklich vernünftig? Ist es nicht teure Arroganz, wenn
Deutschland den Klima-Musterknaben spielt, während US-Amerikaner,
Chinesen, Polen und Tschechen weiter Kohle verheizen? Darauf gibt es
zwei Antworten. Eine im globalen und eine im regionalen Horizont. Die
globale: Wer in China, aber beispielsweise auch in Öl-Förderländern
näher hinschaut, der sieht, dass man sich auch dort auf das Ende des
fossilen Zeitalters in der Energieversorgung einstellt. Die
Umstellung auf erneuerbare Energieträger ist eine neue industrielle
Revolution mit ähnlich weitreichenden Folgen wie die Digitalisierung.
Wer meint, er könne sich da wegducken, wird am Ende zu den Verlierern
gehören. Die regionale Antwort: Spätestens 2045, also sieben Jahre
nach dem jetzt beschlossenen Enddatum, wären beispielsweise die
Tagebaue im Rheinischen Revier ohnehin erschöpft. Da ist der Druck,
der sich aus der Klimaschutzpolitik ergibt, ein Segen: Endlich ist
Schluss mit dem Abwarten, dem man sich im Rheinland gern hingibt und
in der Lausitz noch viel lieber. Die Kohleregionen bekommen Geld, um
einen Wandel zu gestalten, dem sie auch sonst ausgesetzt wären – nur
etwas später. Die Betonung liegt auf Gestalten. Wenn man sieht, dass
das Land Sachsen wie zu Kaisers Zeiten auf die Ansiedlung einer
großen Haftanstalt setzt und ferner darauf, dem Rheinland – also der
anderen vom Ausstieg betroffenen Region – das Bundesverwaltungsamt
abzuluchsen, dann hat das mit Zukunftsgestaltung nicht viel zu tun.
In den Revieren ist eine enorme ingenieurwissenschaftliche Kompetenz
versammelt. Die sollten wir einsetzen, um die energiewirtschaftliche
Revolution voranzutreiben: Speichertechniken. E-Mobilität.
Wasserstoff als Brennstoff der Zukunft. Was wir in den alten
Kohlerevieren entwickeln, könnte weltweit gefragt sein. Hier greifen
das regionale und das globale Argument ineinander: Die Chancen sind
da. Wir müssen sie entschlossen nutzen.
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