Wenn das EU-Parlamentsplenum im November grünes
Licht gibt, ist die Reform der europäischen Agrarpolitik nach
jahrelangen Verhandlungen in trockenen Tüchern. Die Reform soll die
Bauern dazu bringen, umweltfreundlicher zu wirtschaften. So soll ein
Teil der Zahlungen, die sie aus Brüsseler Töpfen erhalten, künftig an
Umweltauflagen gebunden sein. Die ursprünglichen Ziele von
EU-Kommissar Dacian Ciolos, sagt Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende
der Grünen im Europäischen Parlament, hat der Kompromiss aber stark
verwässert.
Die EU-Agrarreform soll im November endgültig verabschiedet
werden. Was sind die drei größten Veränderungen, die auf die
deutschen Landwirte zukommen?
Rebecca Harms: Die Reform wird den Landwirten leider nicht den
Nutzen bringen, der beabsichtigt war. Mit der Reform sollte die Lage
der Bauern in Bezug auf Preisvolatilität, die Folgen des Klimawandels
und die Abhängigkeit von teuren Importen verbessert werden. Die
Landwirte sollten auch einen größeren Anteil in der
Wertschöpfungskette bekommen. Diese Ziele sind nicht erreicht worden,
weil sich die Mehrheit der Agrarminister, die Mehrheit der
Europaparlamentarier, aber auch die großen Berufsverbände dagegen
eingesetzt haben. Wer sind denn unterm Strich die Gewinner, wer die
Verlierer der Reform?
Harms: Wenn wir nicht aufpassen, wird diese Reform den
Strukturwandel massiv verstärken. Die Großen werden wieder die
Gewinner sein. Die Direktzahlungen wurden nicht energisch gekappt.
Ursprünglich sollte eine Entkoppelung und Kappung von
flächengebundenen Zahlungen erreicht werden. So hatte es
EU-Agrarkommissar Ciolos vorgeschlagen. Die nun gefundenen
Kompromisse setzen die Ungerechtigkeit der Förderung fort. Das
EU-Parlament wollte die Direktzahlungen für große Höfe um 25 Prozent
kappen, nun sind es nur 5 Prozent. Wer hat denn den größten
Widerstand geleistet?
Harms: Im Prinzip alle außer uns Grünen. Vor allem Frau Merkel.
Und der Deutsche Bauernverband allen voran. Für die meisten seiner
Mitglieder absurd.
Immerhin soll die EU grüner werden. Bauern sollen ökologischer
wirtschaften. Dafür sind im EU-Agraretat von 2014 bis 2020 mehr als
100 Milliarden Euro vorgesehen. Kann damit das Ziel erreicht werden,
das sich EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos vorgenommen hat?
Harms: Die Investitionen in mehr Biodiversität werden den
Landwirten nützen – etwa im Hinblick auf Bodenqualität, Schädlingen
und auch Klimaeinflüssen. Es ist gut, wenn in bestimmten Regionen wie
dem Pariser Becken oder der Hildesheimer Börde, wo die Landschaft
ausgeräumt ist, das Anpflanzen von Hecken und Bäumen gefordert und
gefördert wird. Denn mehr Biodiversität hilft den Landwirten. Denken
Sie an die Dürre, die Bodenerosion im Osten Deutschlands. Es gab
sogar Sandstürme. Begrüßen Sie das Teilziel des Greenings?
Harms: Ja, auch wenn die Mittel für diese zweite Säule der
Agrarreform gekürzt worden sind und damit die von EU-Kommissar Ciolos
geplante Reform stark verwässert wurde. Mitverantwortlich für die
Schwächung sind auch Bundesagrarministerin Ilse Aigner und Kanzlerin
Angela Merkel. Sie haben mit ihren Kürzungsforderungen am Ende
möglich gemacht, dass auch noch Geld von der ländlichen Entwicklung
zurückgewandelt wird in Hektarprämien. Ein großer Rückschritt.
Dennoch gibt es noch Möglichkeiten, ländliche Entwicklung und
Einkommens- und Vermarktungschancen für Bauern zu stärken. Das Ziel,
die Importabhängigkeit auch durch Fruchtfolgen und eine europäische
Eiweißstrategie zu erreichen, ist nicht verankert. Die Grünen werden
bei der Abstimmung im EU-Parlament deutlich machen, was wir innerhalb
der Reform richtig finden. Wir werden aber auch zeigen, wo wir
überhaupt nicht einverstanden sind. Damit meinen Sie die
Direktzahlungen?
Harms: Ja. Die erste Säule ist quasi unangetastet geblieben. Man
hat aus der Vergangenheit nichts gelernt. Dem Gesamtpaket werde ich
nicht zustimmen. Für mich geht es nun darum, die zaghaften richtigen
Ansätze in der Agrarreform aufzugreifen und in den nächsten Jahren
dafür Politik zu machen. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass die
ursprünglichen Ziele des EU-Agrarkommissars eine bessere Zukunft für
die Landwirtschaft bringen können.
Kann man die Kappung der Direktzahlungen um fünf Prozent für große
Höfen dennoch als Beginn eines Paradigmenwechsels begreifen?
Harms: Das könnte man, aber die Kappung ist meiner Ansicht nach
eher symbolisch. Dadurch, dass die Direktzahlungen fast nicht
angetastet werden, verschärfen wir den Prozess des Strukturwandels,
auf Deutsch das Höfesterben. Diejenigen, die ohnehin schon die
größten Flächen besitzen, erhalten weiter die meisten Mittel und
können die bäuerliche Landwirtschaft ausstechen. Die Konkurrenz um
Flächen hat sich extrem verschärft. Der Preis für
landwirtschaftliche Flächen ist extrem gestiegen. Einige Bauern
haben nicht mehr genügend Geld, um Anbauflächen zu pachten, damit sie
ihre Tiere ernähren können.
Harms: Das ist ein Trauerspiel. Biogas konkurriert mit Milch. Und
die Direktzahlungen verschärfen jede ungleiche Konkurrenz. Die
EU-Agrarindustrie ist bekannt für aggressive Preispolitik, um im
Export ganz vorn mitspielen zu können. Eigentlich sollte doch mehr
auf Kleinbauern, vor allem in den Entwicklungsländern, Rücksicht
genommen werden. Was ist von diesem Ansinnen übriggeblieben?
Harms: Nichts. Das Instrument der Exporterstattungen ist weiter
funktionsfähig, auch wenn für den Export zurzeit keine Subventionen
nötig sind. Wenn wir endlich das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer ernst
nehmen, ist es beschämend, dass die Agrarreform die falschen Import-
und Exportstrukturen nicht ändert. Wir importieren mehr nach Europa,
als wir exportieren. Und mit Exporterstattungen verderben wir die
Märkte in den ärmeren Ländern und heizen die strukturelle
Überproduktion in der EU weiter an. Wir tragen dadurch nun wirklich
nicht zur Ernährungssicherheit in den Entwicklungsländern bei. Aber
wir zerstören bäuerliche Strukturen ausgerechnet in den Ländern, in
denen dringend Entwicklung stattfinden müsste. Auch deshalb wächst
dort die Armut und mehr Menschen fliehen davor. Ist die Agrarlobby
in Europa zu stark, um diese Entwicklung zu stoppen?
Harms: Die Agrar-Funktionäre der alten Verbände geben immer noch
nicht zu, dass Europa nicht die Welt ernährt, sondern zulasten gerade
der Entwicklungsländer Agrarpolitik betreibt. Das hat sich in den
vergangenen Jahren noch verschärft, weil immer mehr Energiepflanzen
angebaut werden und noch mehr Flächen der Nahrungsmittelproduktion
entzogen werden. Im Europäischen Parlament wurde die Forderung des
Entwicklungsausschusses, Kohärenz zwischen Agrar- und
Entwicklungspolitik der EU herzustellen, vom Agrarausschuss
vollkommen ignoriert.
Rechnen Sie damit, dass die Agrarreform im November unverändert
verabschiedet wird oder dass es doch noch Änderungen gibt?
Harms: Weite Teile dieser Reform sind von Mehrheiten in den
Ausschüssen vorbereitet worden. Deshalb glaube ich, dass die Reform
auch so verabschiedet wird. Ich kann nur hoffen, dass die vielen
guten Ideen, die es im Parlament gab, und die guten Ansätze, die der
EU-Agrarkommissar vertreten hat, weiterverfolgt und irgendwann in
Agrarpolitik umgesetzt werden. Dazu gehört die Besinnung auf die
Ziele, die angestrebt, aber nicht in Angriff genommen wurden. Das
heißt: Hoffen auf 2020?
Harms: Nein, sondern nach der Reform ist vor der Reform. In den
Mitgliedstaaten gibt es noch viel Spielraum, vor allem in der
ländlichen Entwicklung, bessere Agrarumweltmaßnahmen umzusetzen und
Kooperation zwischen kleineren Betrieben statt Verdrängungswettbewerb
zu fördern. Das Bemühen, die verpassten Ziele zu erreichen, geht für
mich und etliche meiner Kolleginnen und Kollegen im EU-Parlament
jetzt und nicht erst 2020 weiter. So ist Politik. Und ich bin lange
genug dabei, um zu wissen, dass so große Projekte wie die Agrarwende
oder die Energiewende nicht so schnell zu schaffen sind. Realistisch
betrachtet, benötigt man für solche Paradigmenwechsel nicht eine
Dekade Zeit, sondern eine Generation. Parole: Niemals aufgeben!
Das Gespräch führte Werner Kolbe
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Werner Kolbe
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